Die Mitternachtsprinzessin
schwand dieser Abstand dahin, und es erschreckte sie zutiefst, dass vielleicht bei dem nächsten Angriff Gabriels Empfindungen für sie seine Urteilskraft beeinträchtigen könnten. Seine Gefühle könnten ihn dazu bringen, einen Fehler zu begehen, einen Fehler, der vielleicht tödlich für ihn wäre. Das würde sie nicht ertragen. Wenn sie all dem kein Ende setzte, dann wären sie möglicherweise sogar bald beide nicht mehr am Leben.
Sie musste Gabriel hier herausbringen. Sie musste ihn gehen lassen. Schon jetzt verlangte sie zu viel von dem Mann, war er doch gerade erst von einer beinahe tödlichen Verwundung genesen. Er verdiente eine Chance, in Frieden zu leben, und nichts mehr hatte er sich gewünscht, ehe sie ihn hier hineingezogen hatte.
Sie dachte daran, wie er sich auf dem Hof um die Kätzchen gekümmert hatte - und konnte nicht glauben, dass sie so selbstsüchtig gewesen war, ihn überhaupt rufen zu lassen. Was stimmte nicht mit ihr? Warum hatte sie ihn nicht in Ruhe lassen können?
Und jetzt war da Kronprinz Christian Frederick.
Flüchtig dachte sie an die arme Kleopatra, die von Cäsars Zuneigung abhängig gewesen war, während ihre Leidenschaft dem gut aussehenden General Marcus Antonius galt.
Sophia hatte das Gefühl, sich nicht besser zu benehmen als die ägyptische Königin mit den zwei Gesichtern. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, Gabriel wieder bei sich zu haben, dass sie seine Mahnungen in den Wind geschlagen hatte.
Selbstsüchtiges Mädchen, schalt sie sich.
Wenn Gabriel etwas zustieß, würde sie sich das niemals verzeihen können. Warum hatte sie sich nicht an ihren Vorsatz gehalten, romantischen Verwicklungen aus dem Wege zu gehen?
Schon vor langer Zeit hatte sie den Entschluss gefasst, ihr Herz nur ihrem Land zu schenken, genau wie einst Königin Elizabeth. Nachdem sie ihre Familie verlören hatte, erschien ihr dieser Schwur sinnvoll, denn ein Land konnte nicht sterben. Und außerdem hatten Alexas viele Abenteuer nur zu deutlich gezeigt, dass Männer oftmals so verlogen waren.
Wie der Prinz?
Nein, er wäre genau das Gegenteil, besonders nach allem, was mit seiner ersten Frau geschehen war. Er würde ihre Treue bezweifeln, jeden Tag, jede Stunde. Sie würde wie in einem Käfig leben. Und wenn dann der Tag kam, an dem sie diesen Mann für ihr Land heiraten musste? Würde sie so selbstsüchtig sein, Gabriel in ihrer Nähe zu behalten, bis es so weit war? Ihn erst fortschicken, wenn sie sich dem anderen zuwenden musste? Niemals. Das konnte sie ihm nicht antun.
Das wäre ebenso grausam wie das, was der Prinz seiner ersten Gemahlin angetan hatte, als er sie zu den eisigen Fjorden Jütlands verbannte. Nein, so konnte sie Gabriels noblen Charakter niemals ausnutzen, und er durfte auch nicht sein Leben für sie geben, so wie Leon es getan hatte.
All dies wurde zu schwierig.
Er hatte den verwirrten Radikalen eingesperrt und ihre Männer getäuscht mit der Geschichte, dass er einen der Angreifer aus der Nacht, an dem der Hinterhalt geschah gefangen hatte. Das war nur eine List, aber die Gefahr würde bald Wirklichkeit werden.
Mit jedem Tag wurde das Leben für jeden von ihnen hier gefährlicher. Es konnte schon tödlich sein, sich nur in ihrer Nähe aufzuhalten, als würde sie eine Art Krankheit tragen, die nicht zu entsetzlichen Wunden führte, sondern direkt zum Tod. Nichts davon hätte jemals Gabriels Problem werden dürfen.
Der pure Zufall hatte sie in der Nacht des Angriffs zu seinem Haus geführt. Er hatte friedlich auf diesem Bauernhof gelebt, wo er immer noch seine Wunden heilen lassen sollte. Vielleicht nicht die körperlichen, aber die der Seele. Er war so gut zu ihr gewesen, und wie hatte sie es ihm gedankt?
Sie musste ihn hier herausbringen, musste alldem hier ein Ende setzen, solange es dafür noch Zeit gab. Sie könnte es einfach nicht ertragen, wenn dieser Mann sterben würde - so wie ihr Vater, ihre Brüder und nun auch Leon. Wenn sie erst einmal nach Kavros gesegelt waren, würde es zu spät sein. Wenn ihr etwas an ihm lag, dann musste sie ihn augenblicklich gehen lassen.
Es gab so vieles, für das er leben konnte.
Anders als sie hatte Gabriel noch immer eine Familie die ihn liebte. Und alle diese wundervollen Menschen würden sie hassen und ihr die Schuld geben, wenn ihm irgendetwas zustieß, das war ihr jetzt klar.
Wumm!
Sie hieb gegen die Puppe aus Stroh mit der flachen Seite ihres Schwertes und versetzte sie in Drehung, als sie weiterritt.
Warum überhaupt
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