Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
nicht mehr zur Diskussion. Überhaupt schmerzte das am meisten: die Vorstellung, ihn vielleicht nie mehr wiederzusehen.
Eine einzelne Träne rollte ihre Wange hinunter, doch Noelle wischte sie mit einer unwilligen Handbewegung fort. Seufzend löste sie den Zopf und schüttelte ihre Locken, bis sie ihr frei über die Schultern fielen. Sie hatte genug Zeit damit verschwendet, sich selbst zu bemitleiden. Jetzt musste sie in die Zukunft blicken und versuchen, Vergangenes hinter sich zu lassen – auch wenn sie bezweifelte, dass ihr das in Hinblick auf Henrik tatsächlich gelingen würde.
Plötzlich hörte sie hinter sich jemanden leise weinen. “Ach, Noelle, ich werde dich fürchterlich vermissen!”, drang Evas Stimme an ihr Ohr. “Wir alle hier auf Kronborg Slott werden dich vermissen!”
Ein Lächeln huschte über Noelles Gesicht, als sie die Stimme ihrer Freundin hörte. Sie drehte sich um und wollte Eva umarmen, doch dann verharrte sie mitten in der Bewegung, und ihre Augen weiteten sich vor Überraschung.
Eva war nicht allein gekommen, um sie zu verabschieden. Bei ihr standen Noelles Kollegen aus der Konditorei und auch einige andere Angestellte des Königshofs. Sogar Fridtjof Lundgren war gekommen, wie sie gerührt bemerkte. Und als der Küchenhelfer Jonas Bengtsdotter plötzlich das alte schwedische Abschiedslied
Vem kan segla förutan vind?
– Wer kann segeln ohne Wind? – anstimmte und alle anderen einfielen, war es endgültig um Noelles Selbstbeherrschung geschehen.
Tränen strömten ihr über die Wangen, sie konnte gar nicht mehr aufhören zu schluchzen. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie viele Freunde sie während der kurzen Dauer ihrer Anstellung auf Kronborg Slott gewonnen hatte. Umso mehr schmerzte sie nun der Gedanke, alles hinter sich lassen zu müssen.
Als das Lied zu Ende war, trat ihr Vorgesetzter –
ehemaliger
Vorgesetzter, korrigierte Noelle sich selbst in Gedanken – auf sie zu und reichte ihr die Hand. “Es hat mir wirklich viel Freude gemacht, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich wünsche Ihnen alles erdenklich Gute für die Zukunft. Vielleicht kann ich ja einmal mit der Kronprinzessin über Ihren Fall sprechen. Ich bin sicher, dass sie Ihre Situation verstehen und ein gutes Wort für Sie beim Zeremonienmeister einlegen würde.”
Immer noch sichtlich bewegt, schüttelte Noelle den Kopf. “Nein wirklich, das ist nicht nötig. Ich habe mir diese Sache selbst eingebrockt, und die Prinzessin hat zurzeit wirklich andere Dinge im Kopf.” Sie lächelte. “Ich komme schon irgendwie zurecht. Macht euch um mich bitte keine Sorgen.”
Mühsam schluckte sie den Kloß herunter, der sich in ihrer Kehle gebildet hatte. Sie blinzelte heftig, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Nach Lundgren kam Eva an die Reihe und schloss sie leise schluchzend in die Arme. Und so schüttelte Noelle nacheinander gut ein Dutzend Hände und wurde mit Zuneigung und Herzlichkeit förmlich überschüttet.
“Danke”, flüsterte Noelle gerührt. “Es war mir eine Ehre, euch alle kennenzulernen. Und nur, weil ich jetzt nicht mehr hier arbeite, bin ich ja nicht aus der Welt und …” Sie brach ab, als Fridtjof Lundgren sich vernehmlich räusperte und verkündete: “Wir haben noch eine kleine Überraschung für Sie.”
Er trat zur Seite und machte Platz für einen Servierwagen, auf dem ein Kuchentablett mit einer Miniaturtorte stand. Noelles Augen weiteten sich vor Überraschung, als sie Teile ihres Entwurfs für die Hochzeitstorte der Kronprinzessin darin wiedererkannte.
“Aber das ist ja …” Sie schluckte heftig.
Lundgren lächelte. “Die Zeit war reichlich knapp, aber wir haben alle zusammengearbeitet. Sie ist nicht ganz perfekt, aber ich denke, es ist vor allem der gute Wille, der zählt.”
Während sie zusammen mit ihren Kollegen die Torte anschnitt und alle ein Stück verspeisten, schaffte sie es sogar für eine Weile, nicht an Henrik zu denken.
Doch sie ahnte schon, dass dieser Augenblick nicht lange währen würde.
“Mein Vater hat uns eingeladen, nachher mit ihm nach Stockholm zu fahren, um unsere Verlobung so richtig schick zu feiern”, sagte Matilda, als sie aus dem Badezimmer trat. “Ich will doch sehr hoffen, dass du dich bis dahin ein bisschen besser im Griff hast. Diese Leichenbittermiene hält ja kein Mensch aus!”
“Das dürfte kein Problem werden”, erwiderte Henrik. “Ich werde nämlich nicht mitkommen.”
Er trat ans Fenster und schaute hinaus auf den abendlichen
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