Die Mitternachtsrose
Anni, bitte komm mich und meinen Kleinen doch einmal besuchen. Wir haben ihn Kunwar genannt. Mich freut besonders, dass Ehefrau Nummer eins nur zwei Mädchen hat, was bedeutet, dass unser hübscher Sohn einmal der Kronprinz sein wird, wenn Varun nach dem Tod seines Vaters die Maharadschawürde übernimmt. Varun hat mir versprochen, mich im Juni zu holen, wenn der Kleine alt genug zum Reisen ist. Dann mieten wir ein Haus in Südfrankreich. Vielleicht möchtest Du uns ja dort besuchen?
Du fehlst mir sehr, liebste Anni. Bitte schreib bald.
Indy
Ich hatte mich nicht bei ihr gemeldet, weil ich nicht wusste, was ich ihr verraten konnte. Indira und ihr Mann verkehrten in ähnlichen Kreise wie die Astburys, und sie war nun einmal nicht sonderlich diskret.
Als ich einen nichtssagenden Brief an sie zu Papier brachte, in dem ich ihr so wenig wie möglich von mir berichtete und mich dafür umso eingehender nach ihr erkundigte, stellte ich betrübt fest, dass ich nicht einmal meiner besten Freundin gegenüber ehrlich sein konnte. Mein Leben war ein einziges Lügengespinst. Egal, wie ich es betrachtete: Unser Betrug nahm unserer Liebe alles Schöne.
Jedes Mal, wenn sich nun jemand dafür bedankte, dass ich ihm oder einem Verwandten geholfen hatte, und mich für meine Freundlichkeit und Großzügigkeit lobte, gruben sich meine Schuldgefühle tiefer in meine Seele. Denn ich war nicht der Mensch, für den sie mich hielten, keine arme Witwe, die der Gemeinschaft so bereitwillig Zeit und Wissen zur Verfügung stellte, die alle mochten und der alle vertrauten. Ich war eine Frau, die sich aushalten ließ, eine Geliebte, die ihrem Liebhaber ein uneheliches Kind geboren hatte und die Beziehung mit ihm unter den Augen seiner Frau weiterführte. Seiner Frau, die mich für ihre Freundin hielt …
» Was ist los, Anni? « , fragte Donald eines schönen Frühlingsnachmittags. Er hatte die Gelegenheit ergriffen, zu uns herüberzureiten, währen d V iolet im Hauptgebäude ein Nickerchen hielt. » Ich spüre doch, dass dir etwas auf der Seele liegt. «
» Ich hasse mich selbst! « , rief ich und brach in Tränen aus.
Donald legte tröstend die Arme um mich. » Anni, wenn das Kind auf der Welt ist, nimmt Violet bestimmt wieder ihr altes Leben auf und sucht sich einen anderen Zeitvertreib. Sicher wird sie nach New York fahren, um den Verwandten den Nachwuchs zu präsentieren, und sie liebt die Londoner Wintersaison. Höchstwahrscheinlich wird sie dich bald vergessen. «
Seine Tröstungsversuche fruchteten nicht viel und berührten mein Herz nicht, das sich so sehr nach Erlösung sehnte. Donald dachte nur an die rein praktische Seite, nicht an meine komplexen und schmerzhaften Gefühle.
An jenem Abend kam mir, nachdem ich dich ins Bett gebracht hatte, zum ersten Mal der Gedanke, Devon zu verlassen. Vielleicht war es das Beste, wenn wir wegzogen. Dann konnte ich endlich als der Mensch leben, der ich in Wahrheit war, und musste kein schlechtes Gewissen mehr haben. Allmählich fraß mich der Betrug von innen her auf.
Während ich mich später schlaflos im Bett wälzte, fiel mir ein, dass Violet mich gebeten hatte, ihr bei der Geburt ihres Kindes beizustehen. » Meine Schwägerin Selina sagt, Sie hätten ihr damals so sehr geholfen « , hatte sie erklärt. Zumindest diesen Wunsch würde ich ihr erfüllen müssen. Doch sobald das Kind geboren wäre, würde ich eine endgültige Entscheidung über unsere Zukunft treffen.
Zu allem Überfluss wurde das Singen in meinen Ohren Tag für Tag lauter. Ich hoffte, dass es sich lediglich um eine Projektion meiner eigenen Verzweiflung handelte, und versuchte, es zu ignorieren.
Die letzten Wochen von Violets Schwangerschaft fielen in eine Hitzewelle im Juli, und Violet bat mich fast jeden Tag zu sich ins Hauptgebäude. Dort saßen wir in der kühlen Orangerie, wo sie elektrische Deckenventilatoren hatte anbringen lassen.
» Meine Güte « , stöhnte sie und blickte an sich herunter, » ich bin dick wie ein Walfisch und kann bei dieser Hitze kaum noch schlafen. «
» Es dauert nicht mehr lange « , tröstete ich sie.
» Wirklich? Ich habe das Gefühl, dass die Schwangerschaft kein Ende nimmt. Nach der Geburt müssen Sie mir helfen, wieder so schlank wie früher zu werden. Sonst passe ich in keins meiner Kleider mehr. «
» Für die Figur und natürlich auch für das Kind wäre es das Beste, wenn Sie selbst stillen. Könnten Sie sich das vorstellen? «
» Oje! « Violet verzog den Mund. » Das machen
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