Die Mitternachtsrose
Händen beklagte, fragte ich sie, ob ich ihr etwas gegen die Schmerzen geben solle.
» Ich bezweifle, dass das hilft « , meinte sie. » Aber schaden tut’s bestimmt auch nicht. «
Mit meinem shil noda zerstieß ich eine Kalmuswurzel, die ich in der Orangerie gefunden hatte, und gab Wasser für eine Paste dazu. Am Abend demonstrierte ich Mrs Thomas, wie sie die Salbe auf ihre Hände auftragen musste.
» Machen Sie das eine Woche lang jeden Tag zweimal. Ich glaube, das wird Ihnen helfen. «
Und tatsächlich: Eine Woche später erzählte Mrs Thomas allen von dem » Wunder « , das ich vollbracht habe. Das führte sehr schnell zu einer Schar von »Küchenpatienten « , die mich baten, ihnen ein Heilmittel gegen ihre Schmerzen und Zipperlein zusammenzustellen. Ich half ihnen gern, denn es verschaffte mir Gelegenheit, das, was ich von Zeena und meiner Mutter gelernt hatte, in der Praxis zu erproben. Außerdem genoss ich die Freundlichkeit der Bediensteten, ein Gefühl, das ich lange hatte entbehren müssen.
Doch noch mehr bauten mich in jenem Sommer, obwohl Indira mir die kalte Schulter zeigte und Lady Astbury mich von oben herab behandelte, die Ausritte mit Donald Astbury auf.
Am Morgen nach unserem ersten Ritt war ich aus dem Bett gesprungen, gespannt, ob er mich tatsächlich im Stall erwarten würde wie vereinbart.
» Anni « , hatte er mich lächelnd begrüßt. » Lust auf einen weiteren Ausflug? «
» Ja. « Wir hatten die Pferde gesattelt und waren in der Frühsonne übers Dartmoor galoppiert. Von da an hatten wir uns fast jeden Morgen getroffen und uns allmählich angefreundet.
Anders als seine Mutter war Donald herzlich und offen, und ich hatte das Gefühl, dass ich ihm von meinem Leben erzählen konnte. Er interessierte sich aufrichtig für Indien, seine Sitten und seine Kultur.
» Mein Vater hat Indien und seine Menschen geliebt « , erklärte er. » Meine Mutter nicht, weswegen sie nach England zurückgekehrt sind, als Selina und ich noch sehr klein waren. Leider ist mein Vater fünf Jahre später gestorben. Mutter hat Indien die Schuld für seinen Tod gegeben, und tatsächlich machten ihm die wiederholten Malariaschübe zu schaffen, aber am Ende hat ihn eine Lungenentzündung dahingerafft. Seiner Ansicht nach ist ihm das englische Wetter nicht bekommen. Vater war ein sehr anständiger, hilfsbereiter Mensch. «
» Bist du ihm ähnlich? « , fragte ich Donald, als wir uns ins raue Dartmoorgras legten, während unsere Pferde ihren Durst am Bach stillten.
» Das behauptet meine Mutter jedenfalls. Ich glaube, sie konnte sich nie so recht mit seinem Mitgefühl anfreunden– Vater wollte immer allen helfen, und das machte sich oft negativ auf unserem Bankkonto bemerkbar. Ihm waren Religion und Hautfarbe einerlei, während meine Mutter eine… etwas konservativere Einstellung hat. «
Auf unseren Ausritten gestand er mir seine Zukunftsängste wegen des Krieges und seine Sorge, ob er in ein paar Jahren, wenn er einundzwanzig wurde, fähig sein würde, die Leitung des Anwesens zu übernehmen.
» Es ist jetzt schon kaum genug Geld für die laufenden Kosten da « , seufzte er. » Ganz zu schweigen von der Renovierung des Gebäudes– an manchen Teilen wurde seit hundert Jahren nichts mehr gemacht. Mutter hat Astbury Hall geerbt. Vater war kein guter Geschäftsmann, und niemand hat damit gerechnet, dass er so früh sterben würde. Ich vermute, dass Mutter den Kopf in den Sand gesteckt hat. Oder besser gesagt: ins Gebetbuch. Eigentlich will ich ihr nicht eröffnen, wie schlimm es steht; ich glaube, dass nicht einmal ihr Gott uns helfen kann. «
Ich staunte, welch große Verantwortung er bereits in so jungen Jahren tragen musste.
» Der Lebensunterhalt so vieler hängt von mir ab. « Plötzlich wandte er sich grinsend zu mir. » Sieht ganz so aus, als müsste ich eine reiche Erbin heiraten! Komm, wir müssen zurück. «
Wenn Donald ins Haus verschwand, um sich fürs Frühstück umzuziehen, sah ich ihn meist bis zum folgenden Morgen nicht mehr. Die Tage verbrachte er damit, Indira und ihre Freundinnen beim Essen, mit Tennis und Ritten durch den Park zu unterhalten, die sich deutlich gemächlicher gestalteten als die unseren. Ich bezweifle, dass er je von unseren morgendlichen Ausflügen erzählte– ich tat es jedenfalls nicht. Dies gehörte zu den Geheimnissen, die ich in diesen langen, lauen englischen Sommernächten für mich behielt.
14
Ende August, einige Tage bevor Indira und ich in die Schule
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