Die Mitternachtsrose
servieren.
» Ich habe dem Residenten gesagt, ich muss unbedingt nach London, weil meine jüngste Tochter ernsthaft krank ist. Der Kapitän eines der Truppenschiffe hat sich bereit erklärt, mich mitzunehmen, allerdings mit der Warnung, dass er nicht für meine Sicherheit garantieren kann « , berichtete die Maharani, belustigt über ihr Abenteuer. » Und dass ich möglicherweise in einer Hängematte bei den Soldaten schlafen muss. Natürlich hatte ich am Ende ein bedeutend bequemeres Quartier, und ich habe jeden Abend mit dem charmanten Kapitän und seinen Offizieren gespeist. «
» Ma « , rief Indira entsetzt aus, » du hättest umkommen können! Du weißt, wie viele Schiffe bereits versenkt wurden. «
» Ja, meine pyari, aber ich hätte es keinen Tag länger ohne dich ausgehalten. Außerdem war das Schiff ziemlich schnell. Wir haben es in der Hälfte der sonst üblichen Zeit geschafft. Und, wie geht’s euch beiden? « Ihr Blick wanderte zu mir und dann wieder zu ihrer geliebten Tochter.
» Anni und ich sind uns vorgekommen wie Vögel in der Monsunzeit « , klagte Indira. » Das Essen war grässlich, die Kälte unerträglich, und alle hier sind unglücklich. Ma, ich glaube, du kennst England nicht wirklich. Es ist ein schrecklich düsteres Land, und ich kann es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. «
» In Indien ist die Lage auch schwierig. Viele unserer jungen Männer kämpfen in diesem Krieg für England. « Sie seufzte. » Wir müssen das Beste aus der Situation machen. Und solange ich in London bin, werde ich genau das tun. «
Sie hielt Wort. Schon bald war das Haus voll mit Gästen, die lange keine Vergnügungen mehr erlebt hatten. Sie gab Diners und Cocktailpartys– woher sie im London der Kriegszeit Delikatessen wie Wachteleier, Räucherlachs und Kaviar bekam, war mir ein Rätsel.
Die Maharani betrachtete entsetzt meine Garderobe, die fast zwei Jahre lang nicht erneuert worden war. Weil ich aus nahezu allen meinen Kleidern herausgewachsen war, schickte sie mich mit Indira zu Harrods. Diesmal interessierte ich mich bedeutend mehr für die Damenbekleidung. Ich würde nicht so weit gehen, der Feststellung der Maharani zuzustimmen, ich sei » eine Schönheit « geworden. Aber sogar ich erkannte, als ich die Kleider anprobierte und mich im Spiegel ansah, dass mein Babyspeck verschwunden war und ich nun eine durchaus akzeptable Figur hatte.
» Anni, du hättest mir schreiben sollen « , rügte sie mich. » Bitte scheu dich in Zukunft nicht, um das zu bitten, was du brauchst. «
Außerdem schickte die Maharani mich zum Optiker, damit dieser meine kaputte Brille ersetzte. Anschließend gönnten Indira und ich uns einen Haarschnitt und verließen den Salon mit einem modernen Bubikopf. Und wir erhielten unsere erste Maniküre von der Frau, die zur Maharani ins Haus kam. Als ich an jenem Abend in meinem eleganten neuen Seidenkleid von Harrods zum Essen hinunterging, glaubte ich sogar, bewundernde Blicke der Gäste zu bemerken.
Etwa nach der Hälfte der Ferien nahm Prinz Varun, der sich zu einem zweiwöchigen Heimaturlaub in London aufhielt, sehr zur Freude von Indira an einer der Abendeinladungen der Maharani teil.
Seit ihrer letzten Begegnung hatte Indira sich in eine atemberaubend schöne junge Frau verwandelt, und zwischen den beiden knisterte es sofort. Ob das bei Tisch irgendjemandem auffiel, weiß ich nicht.
Als Indira an jenem Abend mit leuchtenden Augen unser Zimmer betrat, war ich gerade unter die Bettdecke geschlüpft.
» Ach Anni, ist er nicht wunderschön? « , schwärmte sie und ließ sich mit verträumtem Blick aufs Bett fallen.
» Er ist sehr attraktiv, ja. «
» Und weißt du, was? Er will mich wiedersehen. « Sie klatschte vor Begeisterung in die Hände. » Natürlich lässt Ma mich niemals allein losziehen. Könntest du mich also zum Tee ins Ritz begleiten, dich am Eingang zum Hotel verdrücken und eine Stunde lang spazieren gehen? Bitte « , bettelte sie. » Ich hab keine Ahnung, wann wir uns wieder treffen können. Ich muss das einfach machen. «
» Indy, das geht nicht. Du weißt, dass man dich in der Öffentlichkeit niemals allein mit einem Mann sehen darf. Du bist eine Prinzessin und musst dich an die Regeln halten. «
» Das ist mir egal! « Indira vergrub ihr Gesicht in den Kissen und wandte sich mir dann mit schelmisch funkelndem Blick zu. » Bei einer Tasse Tee und Gurkensandwiches können wir schließlich nicht auf dumme Gedanken kommen, oder? Es sei denn, er geht
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