Die Mitternachtsrose
mit mir nach oben… «
» Bitte, das darfst du nicht mal denken! « Ich verdrehte entsetzt die Augen. » Wenn deine Mutter das rausfindet, was mit ziemlicher Sicherheit passiert, weil sie überall ihre Spione hat, sitzen wir beide in der Tinte. «
» Für mich wär das ja nichts Neues, oder? Was soll sie machen, mich zur parda zwingen? Bitte versprich mir, dass du mir Rückendeckung gibst, Anni, nur dieses eine Mal. «
» Na schön « , sagte ich seufzend. » Nur dieses eine Mal und nur für eine Stunde. «
» Danke! « Begeistert darüber, dass sie ihren Willen durchgesetzt hatte, schlang Indira die Arme um mich. » Du bist wirklich die beste Freundin, die sich ein Mädchen wünschen kann. «
Am folgenden Nachmittag warfen wir uns für den Tee im Ritz in Schale und baten den Chauffeur, uns hinzubringen. Indira, die neben mir auf dem Rücksitz saß, war ganz aufgeregt. » Du hast dir den Plan gemerkt, Anni? Wir sagen dem Chauffeur, dass er uns um vier abholen soll. Und du tust so, als würdest du mich hineinbegleiten, verschwindest aber am Eingang. «
» Ja. « Ich runzelte die Stirn, weil sie mir das nun schon zum hundersten Mal erklärte. Vor dem prächtigen Haupteingang des Ritz wünschte ich ihr viel Glück, während der Chauffeur sich entfernte. Sie verabschiedete sich mit einer Kusshand von mir. Ich ging in Richtung Green Park, obwohl ich mich nicht gerade darauf freute, an diesem kühlen Frühlingstag dort eine Stunde lang allein herumzusitzen. Da entdeckte ich auf der anderen Straßenseite ein elegantes weißes Gebäude, auf dem The Royal Academy of Arts stand. Ich überquerte die Straße. Den Informationen auf dem Schild davor entnahm ich, dass darin eine Ausstellung junger Künstler stattfand. Also stieg ich die Stufen hinauf und trat an die Kasse in der Mitte des eindrucksvollen Eingangsbereichs.
» Ich würde mir gern die Ausstellung ansehen. Wie viel kostet der Eintritt? « , fragte ich die Frau, die dort saß.
» Sind Sie Mitglied der Royal Academy? «
» Nein. Muss ich das sein? «
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: » Ja. «
» Dann entschuldigen Sie bitte die Störung « , sagte ich und wandte mich dem Ausgang zu. Die beiden Engländerinnen, die hinter mir gewartet hatten, traten an den Tisch. Auch sie wurden gefragt, ob sie Mitglieder der Akademie seien, und sie antworteten wie ich mit Nein.
» Das macht dann jeweils fünf Shilling « , erklärte die Dame an der Kasse. Die Frauen zahlten und gingen hinein.
Dies war meine erste Begegnung mit Rassendiskriminierung in Großbritannien, dem Land, das uns seit über hundert Jahren regierte. Leider sollte es nicht die letzte bleiben.
Die folgenden drei Nachmittage verbrachte ich vor Kälte zitternd im Green Park, während Indira sich mit ihrem Prinzen vergnügte. Obwohl Fortnum and Mason’s und Piccadilly nur einen Katzensprung entfernt waren, hatte mich die Reaktion der Frau in der Royal Academy so verunsichert, dass ich mich allein nicht mehr anderswohin wagte. Mir war klar, wie fehl am Platz ich außerhalb meines Umfelds, ohne das herrschaftliche Gefolge, wirken musste. Weil ich mit meiner braunen Haut und meiner westlichen Kleidung die neugierigen Blicke vieler Menschen auf mich zog, die an meiner Parkbank vorbeigingen, konzentrierte ich mich ganz auf meinen neuen Freund Thomas Hardy und seinen Roman Am grünen Rand der Welt.
Als Indira und ich uns zur verabredeten Zeit am Seiteneingang des Ritz trafen und in den Wagen stiegen, um uns nach Hause fahren zu lassen, hätte unsere Stimmung nicht gegensätzlicher sein können. Sie war bis über beide Ohren verliebt; ich hingegen erkannte immer deutlicher, dass ich nirgendwohin gehörte.
» Ach Anni « , plapperte sie und schilderte mir wieder einmal die zahllosen Vorzüge ihres Prinzen. » Ich bin ja so verliebt, und heute hat er mir gestanden, dass er mich auch liebt! «
» Ich freue mich sehr für dich, Indy, aber… « , ich hatte mich über ihren Prinzen informiert, » …er ist schon verheiratet. Und das weißt du. «
» Natürlich weiß ich das! Schließlich ist er ein Prinz. Die Ehe wurde für ihn arrangiert, noch bevor er richtig laufen konnte. Das ist eine offizielle Geschichte, keine Liebesheirat. «
» Genau wie für dich die Ehe mit dem Maharadscha von Dharampur arrangiert ist « , erinnerte ich sie. » Du könntest es doch bestimmt nicht ertragen, nur die Zweitfrau zu sein, oder? Außerdem wissen wir beide, dass deine Eltern eine moderne Ehe führen.
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