Die Mitternachtsrose
nicht in dem Teil, den ich bisher gelesen habe. Hauptsächlich geht es darin um Anahitas Kindheit in Indien. Ich hatte bei der Lektüre das Gefühl, in eine völlig andere Welt einzutauchen; sie hat mir Lust gemacht, einmal hinzufahren. Anahita hat als Gefährtin einer Prinzessin in einem prächtigen Palast gelebt, bevor die beiden nach England ins Internat kamen. «
» So hat sich vermutlich die Verbindung mit Astbury ergeben « , überlegte Anthony laut. » Ich weiß, dass mein Urgroßvater vor seinem Tod Resident in Koch Bihar war. «
» Ja. Offenbar gefiel es ihm dort sehr gut, Ihrer Urgroßmutter Maud jedoch nicht. «
» Das kann ich mir vorstellen. Leider gab es nicht allzu viel, was sie gut fand. Mit Sicherheit nicht uns Männer « , fügte er hinzu.
» Lesen Sie die Geschichte einfach selbst. «
» Wenn Sie meinen. Und ich sage Mrs Trevathan wegen morgen Mittag Bescheid. « Anthony parkte den Wagen in einer hübschen, lebhaften Hauptstraße. » Und nun lassen Sie uns einkaufen gehen. «
Der Morgen gestaltete sich angenehmer als erwartet. Rebecca genoss es, mit ihren frisch gefärbten Haaren und in Begleitung von Anthony unerkannt im Sonnenschein dahinzuschlendern. Nachdem sie sich in ein paar Läden einige Blusen ausgesucht und in der Apotheke Antihistamintabletten gekauft hatte, fuhren sie weiter nach Widecombe-in-the-Moor, wo sie vor dem Rugglestone Inn frischen Krabbensalat aßen.
» Das ist das Postkarten-England, wie ich es mir vorgestellt hatte « , erklärte Rebecca, während sie den Blick über die malerischen Cottages an der schmalen Straße schweifen ließ. » Was mich daran erinnert, dass ich ein paar Postkarten schreiben könnte. «
» Es ist wirklich ein schönes Fleckchen Erde. Mir tut es gut, es mit Ihrem unverstellten Blick neu zu sehen. Ich bin nicht viel in der Welt herumgekommen; das Vertraute nimmt man nach einer gewissen Zeit kaum noch wahr. «
» Waren Sie in jungen Jahren wie Ihr Großvater Donald im Internat? « , fragte Rebecca.
» Nein. Ich wurde zu Hause unterrichtet. Meine Mutter hielt nichts von Internaten. «
» Ach, tatsächlich? Das wundert mich. Aufgrund des Drehbuchs und meiner Beschäftigung mit der Zeit, in der der Film spielt, dachte ich, dass das für Jungen aus britischen Familien wie der Ihren Tradition war. «
» Ich hätte meiner Mutter zu sehr gefehlt. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie einsam sie in Astbury gewesen wäre. «
» Ja. « Ihr fiel auf, dass seine Stimme jedes Mal, wenn er von seiner Mutter sprach, etwas Mädchenhaftes annahm. Rebecca fragte sich, ob Anthony nie geheiratet hatte, weil er schwul war. » Nach allem, was ich gehört habe, können Sie von Glück sagen, dass Sie nicht ins Internat mussten. Ich begreife nicht, wie Eltern ihre Kinder wegschicken können.«
» Mutter fand es immer absurd, dass man junge Briten im Internat für die Führung des Empire ausbildete. Ende der fünfziger Jahre, als ich ein Junge war, gab es schon kein Empire mehr, das man hätte führen können. « Er seufzte. »Aber alle behaupten, dass Internate heute nicht mehr so schlimm sind. Angeblich gibt es dort inzwischen sogar warmes Wasser.«
» Wenn ich Kinder hätte, würde ich nie auf die Idee kommen, sie ins Internat zu schicken. « Rebecca schauderte.
» Wie Sie vollkommen richtig erkannt haben, handelt es sich um eine Tradition. Hätten Sie Lust, heute Nachmittag einen Ausritt ins Dartmoor zu machen? «
Nach dem Essen war Rebecca ein wenig übel, und die Kopfschmerzen meldeten sich wieder. » Vielleicht morgen. Ich bin noch nicht wieder ganz auf dem Damm. «
» Was halten Sie davon, wenn wir nach Hause fahren und ich Ihnen die Familienkapelle zeige? Sie wurde von Vanbrugh, einem berühmten englischen Architekten, entworfen und befindet sich im Haus, hinter der langen Galerie. «
» Ja, gern, Anthony. «
Zwanzig Minuten später, als sie wieder in Astbury Hall waren, folgte Rebecca Anthony durch die elegante lange Galerie, an deren Ende er mit einem riesigen Schlüssel eine Eichentür öffnete.
Beim Eintreten machte Rebecca angesichts der mit Blattgold verzierten Säulen, die sich zu einer kleinen Kuppel mit Wolken und Putten erhoben, große Augen.
» Wunderschön « , flüsterte sie.
» Ja, leider wird sie heute kaum noch genutzt. Ich komme nur selten her. Bitte « , sagte er und setzte sich in eine Bank. » Sehen Sie sich ruhig um. «
Rebecca, die die Ruhe genoss und sich ganz der geschichtsträchtigen Atmosphäre der Kapelle hingab,
Weitere Kostenlose Bücher