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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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und her geschoben, das er zu seinem ersten Weihnachtsfest bekommen hatte. Dort im Garten, bei der Mondrose, hatte Daphne gestanden und Louis die blauen Blüten gezeigt. Und oben, im Schlafzimmer, hatte sie ihm entgegengelächelt, nach jener Wundernacht, in der ihr Kind geboren worden war. Mildred mochte noch mehr Dinge aus dem Haus schaffen, sie mochte das ganze Haus verhüllen und konnte dennoch nicht auslöschen, was er mit jedem Schritt durch die Räume spürte: Er war hier glücklich gewesen, so glücklich, wie ein Mann nur sein konnte, und er hatte mit eigener Hand sein Glück zerstört.
    »Klang es dringend?«, fragte er Ackroyd müde. Im Grunde war es ihm gleichgültig, er fragte nur, weil man es eben tat.
    Der junge Mann verzog das Gesicht. »Wenn Sie mich fragen – ich an Ihrer Stelle würde mich auf den Weg machen.«
    Das tat er eine Stunde später, nachdem die Frischoperierte fürs Erste versorgt war. Es war nicht Angst vor Mildred, wie seine Studenten sie ihm witzelnd nachsagten, die ihn nach Hause trieb. Was hätte sie ihm noch antun können, einem Mann, der vor Schmerz längst fühllos war? Was hätte sie ihm vorwerfen können, das er sich selbst nicht hundertmal vorgeworfen hatte? Warum er dennoch ging und nicht dem Wunsch nachgab, die Nacht im Spital zu verbringen, wusste er nicht. Vielleicht aus einem Rest von Pflichtgefühl, vielleicht, weil er zu schwach und müde war, um sich zu widersetzen. Der Vorgarten seines Hauses war so gepflegt wie kein zweiter, seit Wochen waren Mildred und Max am Werk, um ihn für die Saison in ganzer Pracht zu präsentieren. Die Arbeit, die Mildred wegschaffte, sparte drei Gärtner ein. Er hätte sich ab und an bei ihr bedanken sollen, aber er vergaß zumeist, wofür.
    Sie kam aus der Bibliothek, sobald sie seinen Schlüssel im Schloss hörte. Am Ende der Halle stand sie und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich hatte dich früher erwartet«, sagte sie.
    »Es tut mir leid, mir kam ein Notfall dazwischen.«
    »Was du nicht sagst. Ich wünschte, es gäbe Mittel, den Herrn Doktor daran zu erinnern, dass hier zu Hause unentwegt ein Notfall herrscht.«
    Ohne auf eine Erwiderung zu warten, schwang sie herum und stapfte in die Bibliothek zurück. Von ihm wurde erwartet, dass er ihr folgte, dass er nicht protestierte, er müsse zu Abend essen oder sich der Straßenkleider entledigen, sondern sich fügte. Er tat es grundsätzlich. Nur die Hände wusch er sich. Dafür hatte er eine Waschschüssel und einen Zerstäuber mit Phenol in der Halle bereitgestellt, damit er nicht erst nach oben musste.
    Mildred saß in dem Sessel, der Hyperions Vater gehört hatte. Ihm wies sie den Stuhl zu, auf den auch der Vater ihn zu zitieren pflegte. »Ich bin heute in der Stadt deiner Schwägerin begegnet«, warf sie ihm hin. »Deiner Schwägerin und der Schlange Maria Lewis. Mir zittern jetzt noch die Hände, wenn ich daran denke.«
    Auch ihre Oberlippe zitterte. Hatte es wirklich eine Zeit gegeben, in der Mildreds Temperament ihn amüsiert hatte? Er wusste nicht, was er entgegnen sollte.
    »Weißt du eigentlich, dass dieses Miststück es wagt, mich eine Mörderin zu nennen? Willst du das auch tatenlos dulden, wie du alles andere duldest? Ich führe deine Kinder spazieren, sorge dafür, dass sie frische Luft bekommen, und die beiden Nattern beschimpfen mich?«
    Sind wir denn keine Mörder, Mildred? Haben wir nicht jede Beschimpfung verdient? »Nein«, murmelte er. Mehr fiel ihm nicht ein.
    »Was heißt nein? Behauptest du etwa, ich lüge!«
    »Keineswegs«, erwiderte er und hob die Hände. »Ich meinte, nein, ich will das nicht dulden. Ich rede bei nächster Gelegenheit mit Hector, ja?«
    »Soso«, machte Mildred, lehnte sich zurück und breitete die Arme über die Sessellehne. »Du redest also bei nächster Gelegenheit mit deinem Bruder. Nun, wenn du ausnahmsweise daheim gewesen wärst, hättest du heute schon Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden, er war nämlich hier und fand es äußerst bedauerlich, dich nicht anzutreffen. Mir ist der Kerl zuwider, Hyperion. Sag ihm, er soll seine Händel mit dir im Spital austragen, mein Kind und ich haben damit nichts zu tun.«
    Hyperion nickte, obgleich er Hector von alldem nichts sagen und vermutlich überhaupt nicht mit ihm sprechen würde.
    Mildred zog den Teewagen zu sich und schenkte sich aus der einzigen Karaffe einen Drink ein. Kaum hatte sie davon getrunken, sprang sie auf. »Ist das wieder einmal alles, was du dazu zu sagen hast?«, schrie sie.

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