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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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Angebot gemacht«, sagte er niedergeschlagen. »Aber es gilt nur bis Anfang Mai, danach sucht er sich einen anderen Käufer, und es ist viel mehr, als ich aufbringen kann.«
    Sukie streichelte seinen Handrücken. Aber was willst du denn mit dem ganzen Kasten?, hätte sie fragen wollen, doch sie war klug genug, ihn jetzt, da er sich ihr öffnete, einfach reden zu lassen.
    »Auf der Post war ich auch«, fuhr er fort. »Ich habe mein Sparbuch dort, ich war einer der Ersten, die für dieses Sparbuch unterzeichnet haben. Auf der Post weiß man, dass ich einen guten Namen habe. Monat für Monat habe ich in mein Buch eingezahlt, jeden Penny, den ich entbehren konnte, und nur, wenn das verfluchte Weib mich um Geld anging, habe ich etwas abgehoben. Ob man mir nicht auf mein Sparguthaben eine Summe leihen könnte, habe ich gefragt, und wissen Sie, was ich als Antwort erhielt? Ausgelacht hat man mich. Wie einen dummen Jungen, der keinen Hosenknopf in der Tasche hat. Ich soll ins Pfandhaus gehen, hat mir der Fatzke hinter dem Schalter geraten, oder meine Leiche zu anatomischen Zwecken verkaufen. Und dann hat er sich auf den Schenkel geschlagen, und das ganze Pack hat in sein Gelächter eingestimmt.«
    So also erklärte sich die Szene vor dem Postamt, und die Frau mit dem Kinderwagen besaß überhaupt nicht die Bedeutung, die Sukie in ihrer Eifersucht ihr zugemessen hatte. Sie lehnte sich an ihn und streichelte seinen Arm. Nur einen Wunsch hatte sie in diesem Augenblick – ihn zu trösten, die Wucht der Demütigung zu mildern. »Sie brauchen doch deren Geld nicht«, murmelte sie zärtlich. »Soll Mr Weaver eben einen anderen Käufer finden. Sie sind auch so ein aufrechter Mann, der sein Auskommen hat und sich von niemandem beleidigen lassen muss.«
    Er hatte ins prasselnde Feuer gestarrt, doch jetzt wandte er sich ihr zu. »Aber dann bleibt Milton’s Court, was es ist«, sagte er. »Eine Billigpension für Arbeiter, die sich die Urlaubstage vom Mund absparen.«
    »Ja, was soll es denn sonst sein?«, rief Sukie verblüfft.
    Er sah sie an, in seinen Augen eine Entschlossenheit, die ihn ihr fremd machte. »Ein Grandhotel«, sagte er. »So ehrwürdig wie das Cathedral, so komfortabel wie das Victoriana und so chic und en vogue, dass Mount Othrys dagegen zum Schatten verblasst.«
    Voller Hass schleuderte er die zwei Worte – Mount Othrys – heraus wie vorhin die Spucke, die aufs Pflaster klatschte. Sukie hob die Hand und legte sie an seine Wange. »Sch, sch«, machte sie, wie sie die Kinder in ihrer Obhut beruhigt hatte. Als seine Hand nach seinem Glas tastete, schenkte sie es ihm noch einmal voll und füllte auch ihr eigenes. Sie tranken beide. Dann streichelte sie ihn weiter, strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirne und fuhr mit einem Finger die Furchen entlang.
    Irgendwann stöhnte er auf.
    Irgendwann stellte er das Glas ab, nahm sie behutsam bei den Armen und sah ihr in die Augen.
    »Sukie«, sagte er, »hast du je einen Mann geliebt?«
    »Ja«, antwortete sie, ihre Stimme kaum noch ein Flüstern.
    »Und er?«
    »Er liebt eine andere.«
    »Das tut weh, nicht wahr? Es brennt und hört nicht auf, auch wenn die Liebe aufhört.«
    »Meine Liebe hört nicht auf«, sagte Sukie, streifte seine Hände ab und legte ihm die Arme um den Hals. »Mir ist egal, was die Leute auf der Bank und im Postamt reden«, flüsterte sie an seinem Ohr. »Für mich bist du der feinste Mann, der in dieser Stadt herumläuft, Victor, und das wird immer so sein, einerlei, was irgendwer dagegen sagt.«

    Die Operation war missglückt, weil Hyperion sich zu spät dazu entschlossen hatte. Buchstäblich unter den Händen war ihm das Neugeborene erstickt. Ein Junge. Auf dem blau verfärbten Köpfchen verklebte Strähnen blonden Haars. Als wäre ein toter blonder Junge unerträglicher als irgendein anderes totes Kind. Die Mutter hatte schon drei Söhne, von denen sie keinen versorgen konnte. Sie würde, wenn sie überlebte, den Tod ihres Kindes kaum beklagen, aber das änderte nichts an dem entsetzlichen Gefühl, versagt zu haben.
    »Ich finde, Sie haben sich nichts vorzuwerfen«, sagte der junge Ackroyd, der ihm assistiert hatte. »Ein anderer hätte die Sectio gar nicht mehr gewagt und Mutter und Kind verloren. Sie dagegen haben die Mutter gerettet. Ich bin sicher, sie wird leben, Dr. Weaver.«
    Ja, bis sie sich vom nächsten Almosen zu Tode säuft, dachte Hyperion. Überleben würde die Frau vermutlich wirklich, nicht nur, weil die Blutung zum Stehen

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