Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
Vom Netzwerk:
»Ist es dir einerlei, was man mich schimpft, glaubst du es am Ende selbst?«
    Sie stieß ihr Glas beiseite und baute sich vor ihm auf. »Na los, sag’s schon – ist es das, was du in all dieser Zeit geglaubt hast, dass ich meiner Schwester und meinem Neffen, die ich über alles liebte, etwas angetan habe? Meidest du mich deshalb, als hätte ich Pest und Cholera? Ach nein, wenn ich Pest und Cholera hätte, wäre ich dir vermutlich einen Blick wert – eine Gnade, die weder mir noch den armen Würmern, die du in die Welt gesetzt hast, zuteilwird.«
    Hyperion, der aus Gewohnheit den Kopf geduckt hatte, blickte auf und sah sie an. »Es tut mir leid, Mildred.«
    »Und das, meinst du, ist wie immer genug?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich werde Hector sagen, dass er Bernice zurechtweisen soll. Sie hat so etwas nicht zu dir zu sagen, und natürlich glaube ich kein Wort davon.«
    »Dann beweise es«, sagte sie, ging zu ihrem Platz zurück und trank, ehe sie sich setzte.
    Liebend gern hätte Hyperion auch einen Drink gehabt, aber dass sie ihm keinen anbot, gehörte zu den Demütigungen, die er klaglos zu schlucken hatte. Wenn er ihr sonst nichts zu geben hatte, sollte sie sich wenigstens daran gütlich tun. »Wie soll ich es dir denn beweisen? Genügt nicht, dass ich es dir sage?«
    »Nein«, antwortete sie. »Dass du es mir sagst, bringt niemanden zum Schweigen, und dass du mit dem Teufel Hector sprichst, auch nicht, wenn du es überhaupt tust.«
    »Southsea ist klein, Mildred. In kleinen Orten wird eben geredet. Du darfst es dir nicht zu Herzen nehmen.«
    »Und deine Kinder?« Sie schrie jetzt wieder. »Deine Kinder, die ohnehin in Schande aufwachsen, sollen die sich auch nicht zu Herzen nehmen, dass man sie Kinder von Mördern schimpft?«
    »Wenn es etwas gibt, das ich darüber hinaus tun kann, sag es mir«, murmelte Hyperion.
    Mildred trank Whisky. »Heirate mich«, sagte sie.
    Hyperion zuckte zusammen. Wich er ihrem Blick sonst aus, so starrte er ihr jetzt ins Gesicht, als stünde dort eine Erklärung für das Unglaubliche. Ihm war Hass nichts Fremdes. Sein Bruder hasste ihn, und seine Großmutter verachtete ihn, aber kein Mensch auf der Welt hatte ihn je so gehasst wie diese Frau. Er war der Mann, der ihr Leben zerstört hatte – sie gehindert, mit ihrer Schwester nach Australien zu gehen, sie in Schande gestürzt und ihr das einzige Wesen genommen, das sie je geliebt hatte. Daphne. Sie hatte ihm alles schon gesagt – dass sie ihm nicht den Tod, sondern ein langes Leben voller Qualen wünsche, dass sie Tag und Nacht darüber nachsinne, wie sie seine Qual vergrößern könne. Nichts davon wunderte ihn, nichts schien ihm unangemessen. Nur dieses – dass sie ihm gegenüber im Sessel saß und zu ihm sagte: Heirate mich.
    »Hör endlich auf, in dich hineinzuschweigen«, platzte sie los. »Habe ich nicht wenigstens darauf eine Antwort verdient?«
    »Ich bin verheiratet«, presste er heraus. Von allen absurden Antworten, die er ihr geben konnte, schien diese die erträglichste.
    Mildred ließ seinen Blick nicht los. »Lass Daphne für tot erklären«, sagte sie. »Sie ist seit anderthalb Jahren fort. Selbst du musst inzwischen begriffen haben, dass sie nicht zurückkommt.«
    Zum ersten Mal an diesem Abend sagte er etwas, das er nicht zuvor bedacht hatte, sondern empfand, wie er es aussprach. »Ich werde das nie begreifen«, sagte er. Ich werde es nie akzeptieren, ich will bis an mein Lebensende Buße tun, damit sie noch einmal zurückkommt. Damit ich sie um Vergebung bitten kann.
    »Du bist ja nicht bei Verstand«, schrie Mildred. »Ist dir noch immer nicht klar, dass das Leben weitergeht? Wir haben zwei Kinder großzuziehen, Kinder, an deren Existenz du schuld bist – dass du die beiden nicht wolltest, dass sie nicht das richtige Geschlecht haben, was können sie dafür? Hätte ich einen Sohn geboren wie Louis, hättest du mich längst geheiratet, um deinem Jungen die Schande zu ersparen.«
    Was sie sagte, war so falsch wie nur möglich. Nicht dass Georgia und die arme Esther Mädchen waren, entfremdete sie ihm, sondern dass sie nicht Louis waren. Es gibt keinen Sohn wie Louis, hätte er erwidern mögen, aber sogar ihm war bewusst, wie grausam das gewesen wäre.
    »Glaubst du, ich habe das nicht gewollt?«, schrie sie weiter. »Dir einen Sohn geben, wie du ihn dir so sehr gewünscht hast?«
    Ich habe mir keinen Sohn gewünscht. Nur den Sohn, den ich hatte, zurück. Er hatte auf den Boden gestarrt. Als sie plötzlich

Weitere Kostenlose Bücher