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Die Mondrose

Die Mondrose

Titel: Die Mondrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Helmin
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vor ihm stand, fuhr er zusammen. Ihre Hand schoss auf sein Gesicht zu. Dass sie ihn ohrfeigen wollte, konnte er ihr nicht verdenken. Was hätte sie auch sonst tun sollen, um einem gefühllosen Klumpen einen Bruchteil des Schmerzes zuzufügen, den er ihr zugefügt hatte? Aber sie ohrfeigte ihn nicht. Ihre Finger waren nicht kühl und sacht, wie Daphnes Finger gewesen waren, sie trafen heiß und verschwitzt auf seine Wange und strichen daran hinunter. Ein wenig zitternd und ein wenig zärtlich. So, wie es zu Mildred nicht passte. Hyperion blickte auf und sah in ihre Augen, die vor Nässe glänzten. »Ach, Mildred«, sagte er leise und öffnete die Arme.
    Es war ihm zuwider, eine Frau zu halten, wie er Daphne gehalten hatte, und bei keiner Frau war es ihm so zuwider wie bei Mildred. Wenn er auch nie erfahren mochte, auf welche Weise Daphne ihn verlassen hatte, das eine wusste er: Sie musste von dem, was er mit ihrer Schwester trieb, erfahren haben. Andernfalls wäre sie nie von ihm fortgegangen. Er hatte ihre Liebe nicht verdient, er war ihr ein furchtbarer Mann gewesen, aber Daphne hatte ihn geliebt.
    Dennoch hielt er Mildred. Ließ zu, dass sie ihn küsste, zuerst auf die Wangen und dann auf den Mund. Ein Mann konnte eine Frau, der er so viel angetan hatte, nicht auch noch von sich stoßen. Mechanisch strich er über ihr Haar, während ihre Arme sich um seinen Hals klammerten. »Ich hätte dir so gern einen Sohn geboren«, wisperte sie an seinem Ohr. »Es ist nicht meine Schuld, dass es ein Mädchen geworden ist, es ist verdammt noch mal nicht meine Schuld.«
    »Natürlich nicht. Und es spielt auch keine Rolle.«
    »Aber die Mädchen sind dir nichts wert. Du wünschst dir einen Sohn, der Arzt wird wie du.«
    Hyperion hielt inne. Hatte er sich gewünscht, dass Louis Arzt werden sollte? Soweit er sich erinnerte, hatte er sich von Louis nie etwas anderes gewünscht, als dass er sei, was er war.
    »Wenn ich einen Sohn hätte, würdest du mich heiraten.«
    »Das ist doch Unsinn, Mildred. Ich heirate dich nicht, weil ich nicht kann. Meine Frau hat mich verlassen. Aber sie ist nicht tot.«
    »Wäre dir das lieber?«, fragte sie. »Den Skandal einer Scheidung durchzumachen, statt sie für tot erklären zu lassen? Es hat in deiner Familie schon einmal einen gegeben, nicht wahr?«
    »Das war vor meiner Geburt«, antwortete Hyperion. »Und nein, es wäre mir nicht lieber. Wenn mich Daphne je wissen lässt, dass sie es wünscht, werde ich mich scheiden lassen, aber aus eigenem Willen nie.«
    Sie richtete sich auf und sah ihn wieder an. »Sie kommt nicht wieder, Hyperion. Sie liebt dich nicht mehr.«
    »Das weiß ich«, entgegnete er. »Aber ich liebe sie, und das werde ich immer tun.«

Kapitel 23
    Mai
    N ur zu gern hätte Hector Weaver die ihm verbliebene Hälfte an der Pension Milton’s Court an Victor März verkauft. Der Deutsche war gut in dem, was er tat, und er hatte zwei Kräfte, die ihn antrieben – seinen Wunsch, es zu etwas zu bringen, und seinen Hass auf Mildred Adams.
    Mildred Adams hatte ebenfalls zwei Kräfte, die sie antrieben – ihren Wunsch, mit Fug und Recht Herrin auf Mount Othrys zu werden und zu bleiben, und ihren Hass auf Victor März.
    Mit diebischem Vergnügen hätte Hector dabei zugesehen, wie diese Titanen zum Kampf antraten, wie sie sich gegenseitig zerstörten und einen Dritten, den, auf den es ankam, dabei mit ins Verderben rissen. Hector Weaver nämlich hatte auch zwei Kräfte, die ihn trieben: seinen Wunsch, alle anderen zu übertrumpfen, und seinen Hass auf seinen Bruder.
    Dass März den Preis, den er so niedrig wie möglich angesetzt hatte, nicht zahlen konnte, bedeutete eine herbe Enttäuschung für ihn. Seit Monaten quälte ihn eine Unruhe, als hätten sich Ameisen seiner Blutbahnen bemächtigt und ließen ihm bei Tag und Nacht keinen Frieden. Er kannte dieses Gefühl, wenn auch nicht in solcher Heftigkeit.
    Er hatte zu lange stillgehalten, zu lange nicht ausgeholt, um einen Coup zu landen. Die überwältigende Mischung von Erregung und Genugtuung hatte er zuletzt in der Winternacht am Strand verspürt, als er dem Boot zusah, das mit schwerfälligen Ruderschlägen hinaus aufs Meer trieb.
    Wie lange war das her? Bald anderthalb Jahre? Schon damals hatte er gewusst, wie schwer es sein würde, den Rausch jener Nacht zu steigern. Natürlich würde er das unglaubliche Wissen, das er dort draußen erworben hatte, nutzen, doch zu früh verschießen durfte er das kostbare Pulver nicht. Der Verkauf

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