Die Mondscheinbaeckerin
widerspenstigen blonden Haaren, ihrem schmalen Gesicht und Körper, verunsicherte ihn. Am Vormittag hätte er ihre Hand am liebsten nicht mehr losgelassen, weil sie etwas Verletzliches und Weiches hatte. Er hatte den ganzen Tag an sie gedacht. Bestimmt war es mehr als ein Zufall, dass Dulcie Shelbys Tochter gerade zu der Zeit im Ort auftauchte, als er sich kritisch mit dem Lebensstil seiner Familie auseinanderzusetzen begann. Möglicherweise war es ja ein Zeichen.
Ja. Es musste ein Zeichen sein.
»Ich geh heute Nacht wieder raus«, flüsterte er ihr zu. »Sagâs Dad nicht. Und lauf mir nicht nach.«
Kylie verdrehte die Augen. »Warum versuchst duâs immer wieder? Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass es gar nicht so toll ist.«
»Was?«
»Das Normalsein.«
»Julia! Machst du bitte die Tür auf?«, rief Stella am selben Abend von unten, gerade als Julia das zweite Blech Madeleines aus dem Ofen nahm und die Gebäckstücke stirnrunzelnd betrachtete. Wieder nicht richtig gelungen.
»Julia!«, rief Stella noch einmal. »Es ist Sawyer, und ich liege in der Badewanne!«
Julia seufzte. Einmal Sawyer pro Tag reichte. Wenn sie die Zeit in Mullaby unbeschadet überstehen wollte, musste sie ihm aus dem Weg gehen.
Julia wischte sich die Hände an der Jeans ab und stieg mit laut stapfenden Schritten die Treppe hinunter, um Stella zu ärgern, deren Bad sich direkt darunter befand. Durch die dünnen Vorhänge sah sie im Verandalicht die Umrisse einer Gestalt.
Sie holte tief Luft und öffnete die Tür â und stieà einen Seufzer der Erleichterung aus.
Emily trat verlegen von einem Fuà auf den anderen. Sie trug dieselbe Kleidung wie am Morgen, schwarze Shorts und ein schwarzes Top, und ihre widerspenstigen blonden Haare glänzten im Licht wie Meringues.
»Hallo, Julia«, begrüÃte sie sie. »Störe ich?«
»Aber nein.« Julia winkte Emily herein. Als sie Emily gesagt hatte, dass sie sich jederzeit an sie wenden könne, wenn sie etwas brauche, hatte sie nicht gedacht, dass sie das Angebot so schnell annehmen würde. Sie fand die Verlegenheit des Mädchens anrührend. Es war nie leicht, ein AuÃenseiter zu sein, am allerwenigsten, wenn man diese Rolle nicht selbst gewählt hatte.
»Hübsches Haus«, stellte Emily fest. Stellas Teil des Gebäudes wirkte dank ihrer Mutter, die Innenarchitektin war, warm und freundlich â goldbraune Holzböden, lebhafte Blumenarrangements, Originalkunstwerke und eine gestreifte Seidencouch, auf der niemand sitzen durfte.
»Es gehört nicht mir, sondern meiner Freundin Stella. Ich habe die Wohnung oben.«
Wie aufs Stichwort brüllte Stella: »Hallo, Sawyer! Ich trage nur ein bisschen Badeschaum. Interessiert?«
»Es ist nicht Sawyer«, rief Julia zurück. »Du wartest in der Badewanne auf ihn? Ist das zu fassen? Komm endlich raus, bevor deine Haut schrumpelig wird.«
Emily hob fragend die Augenbrauen.
»Das ist Stella«, erklärte Julia. »Komm, ich zeig dir meinen Teil des Hauses.« Sie ging Emily voran die Treppe hinauf. »Lass mich nur schnell den Herd ausschalten«, sagte sie oben angelangt und betrat das Zimmer, das als Küche diente und in dem Zuckerkristalle und Mehlschwaden in der Luft hingen. Dazu ein eigentümlicher Duft nach karamellisierendem Zucker und abgeriebener Zitronenschale â der Duft der Hoffnung, der Menschen nach Hause lockt.
Das Fenster in dem Raum stand weit offen, weil der Duft mit seiner Botschaft nach drauÃen dringen sollte.
»Was bäckst du da?«, fragte Emily von der Tür aus, als Julia den Herd ausschaltete.
»Hier probiere ich Rezepte fürs Lokal aus. Meine Madeleines sind noch nicht so, wie ich sie mir vorstelle.« Julia nahm ein Gebäckstück vom Blech. »Siehst du? Madeleines sollten auf einer Seite eine deutliche Wölbung haben. Die da ist zu flach. Ich glaube, ich hab den Teig nicht lange genug im Kühlschrank gelassen.« Sie legte das kleine, weiche Gebäckstück in Emilys Hand. »So servieren die Franzosen Madeleines, mit der runden Seite nach unten, wie ein kleines Boot. In Amerika machen wir es umgekehrt.« Sie drehte die Madeleine herum. »Probier sie ruhig.«
Als Emily ein Stück probierte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Mit vollem Mund schwärmte sie: »Du bist eine tolle
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