Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
ausstehen konnte.
Marianne wand sich innerlich unter den Blicken. Sie wünschte sich, auf der Stelle unsichtbar zu werden.
»In Ordnung«, beschloss Geneviève ruhiger. »Du hast dich ja anscheinend verletzt, Jeanremy, brauchst also sowieso Hilfe. Ob aus dem Meer oder vom Himmel oder sonst woher. Gib ihr einen Saisonvertrag. Laurine soll ihr das Muschelzimmer in der Auberge zeigen. Wir werden ja sehen, was davon zu halten ist«, sagte Geneviève. Und dann mit einem knappen Nicken zu Marianne: »Bienvenue.«
»Au revoir«, antwortete diese höflich.
Madame Geneviève bellte Jeanremy an. »Und bring ihr Französisch bei!«
Jeanremy wandte sich vergnügt an Marianne.
»Haben Sie schon gegessen?«
12
I ch unterscheide Frauen in drei Kategorien«, sagte Paul, zupfte an einem überlangen Haar seiner Augenbraue, klopfte mit dem Schnapsglas auf den Holztisch und trank es in einem Zug aus. Dann stellte er das leere Glas neben die anderen auf das Trictracbrett, das zwischen ihm und Simon stand.
»Das tust du immer.«
Simon verzog das Gesicht, der Lambig brannte. »Ich bin vielleicht nur ’n dummer Fischer, aber das is kein Grund, mir dauernd Vorträge zu halten.«
Simon deutete nur ein Nicken an, als Laurine ihnen von der Schwelle zum Gastraum aus fragend vier Finger hochhielt.
Paul redete weiter. »Alors. Hör zu. Die erste Kategorie sind die femmes fatales. Sie sind aufregend, aber sie unterscheiden nicht zwischen dir und mir und irgendwem. Die sind gefährlich. In die darfst du dich nicht verlieben, das bricht dir das Herz. Verstanden?«
»Hmm. Ich gewinne übrigens gleich.«
»Die zweiten sind die freundlichen, die du heiraten kannst; es wird dich langweilen, aber niemals in Gefahr bringen. Sie meinen dich, und sie sehen keinen anderen an, niemals. Irgendwann werden sie traurig und hören auf, zu leben, weil sie nur in deine Richtung geschaut haben und du nicht mal mehr richtig hinsiehst.«
»Aha. Und zu welcher Kategorie gehört die Frau aus dem Meer? Mariann?«
Laurine brachte ihnen vier weitere Gläser Schnaps.
»Warte. Und dann gibt es die Frauen, für die du lebst«, sagte Paul leise. »Das sind die einen. Für die alles einen Sinn gehabt hat, was du je getan oder nicht getan hast. Du liebst sie, und das wird dein gesamter Lebensinhalt. Du stehst auf, um sie zu lieben, du gehst schlafen, um sie zu lieben, du isst, um sie zu lieben, du lebst, um sie zu lieben, du stirbst, um sie zu lieben. Du vergisst, wohin du wolltest, was du versprochen hast und dass du verheiratet bist.« Er dachte an Rozenn, die er so sehr liebte, dass alles einen Sinn gehabt hatte. Und er dachte an den Mann, wegen dem sie gegangen war. Dem Knaben. Siebzehn Jahre jünger als Paul. Siebzehn!
»Du bist aber nicht mehr mit Rozenn verheiratet, Paul.«
»Das habe ich mir nicht ausgesucht.«
Nein. Rozenn hatte sich das ausgesucht. Ein paar Wochen, nachdem sie Großmutter von Zwillingen geworden war, warf sie alles über den Haufen und verliebte sich in einen quasi Halbwüchsigen.
Simon dachte an das Meer. Das hatte er sich ausgesucht, und das Meer hieß ihn immer willkommen. Er konnte sich so in die Wellen schmiegen, wie er es an einen warmen weiblichen Leib getan hätte. In das Wasser eintauchen wie in den Körper einer Geliebten.
»Ihr seid schon ziemlich weit gekommen, heute, n’est-ce pas? «
Eine Stimme, rauchig, tief und heiser. Ihr voraus wehte ein Duft von Zigaretten und Chanel No. 5. Hohe Absätze kamen klickernd näher, Beine in echten Seidenstrümpfen, darüber ein schwarzes, edles Kostüm, gelbe Handschuhe, ein schwarzer Hut.
Colette Rohan.
Colette bot ihre feingeschnittene Wange für die drei bisous und küsste die Luft neben Simon, während der die Augen schloss und seine Wange zart an ihre legte; es war wie immer viel zu schnell vorbei, dachte Simon.
Paul stand auf, zog die aparte Galeristin an sich und gab ihr drei spürbare Begrüßungsküsse, setzte sich wieder, würfelte und schob seine leeren Schnapsgläser über das Backgammonbrett.
Simon schwieg und sah Colette an, sein Mund wurde trocken, und er hörte das Meer in seinen Ohren rauschen.
»Madame?«, fragte Laurine und pustete ihren Pony hoch.
»Wie immer, ma petite belle«, sagte die Galeristin und ließ sich neben Paul und Simon am Tisch nieder, schlug die Beine anmutig übereinander und wartete, bis Laurine ihr ein Glas Leitungswasser und einen Bellini serviert hatte.
»Laurine, welcher Tag ist heute?«, fragte Paul.
»Es ist Montag, Monsieur
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