Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Paul. Sie kommen jeden Montag, morgens und abends, an den anderen Tagen kommen sie nur mittags, und deshalb weiß ich, dass heute Montag ist.«
»Und es ist Madame Colettes Geburtstag«, ergänzte Paul.
»Ooohh!«, sagte Laurine.
Colette trank einen Schluck Bellini. Erst dann bat sie Simon, ihr Feuer zu geben. Sie konnte nur nass rauchen, das war schon immer so gewesen, mit sechzehn, mit sechsunddreißig und jetzt mit sechsundsechzig genauso.
Sechsundsechzig. Colette schnaubte.
Simon räusperte sich unsicher und kramte umständlich etwas aus seiner alten Bootstasche hervor. Schließlich schob er ein ungeschickt verpacktes Bündel zu Colette hinüber.
»Für mich? Simon, mon primitif! Ein Geschenk!«
Aufgeregt riss sie das Papier ab. »Autsch!«, knurrte sie. Etwas hatte sie gestochen.
Paul begann dröhnend zu lachen.
»Disteln«, stellte Colette dann mit ihrer rauchigen Stimme fest und saugte heftig an der Zigarettenspitze.
»Ich musste eben an dich denken«, stammelte Simon.
»Mon primitif, du überraschst mich immer wieder. Erst vor zwei Wochen dieser ausgesprochen originelle Aschenbecher in Form eines … was war es doch gleich?«
»Ein halber Taschenkrebs.«
»Vor einer Woche dann die tote blaue Libelle …«
»Ich dachte, ihr Frauen könnt daraus irgendwas machen. Eine Brosche vielleicht.«
»… und heute diese seelenvollen Disteln.«
»Kugeldisteln.«
»Männer haben mir Blumenbuketts geschenkt, dagegen entsprachen die Kränze bei Prinzessin Dianas Beerdigung einem Strauß Primeln. Ich bekam Diamantbroschen, einer wollte mich sogar mal mit einer Mansardenwohnung in Saint Germain bedenken, ich sagte nein, ich dummes Ding, Stolz ist so lästig. Aber wirklich, Simon, kein Mann hat mir jemals solche Geschenke gemacht wie du.«
»Gern geschehen«, sagte er. »Und alles Gute zum Geburtstag.«
Als er Paul lachen hörte, hatte Simon das Gefühl, irgendetwas stimmte nicht ganz an Colettes Freude. Dabei passte die gelbe Vase, in die er die Disteln gesteckt hatte, ausgezeichnet zu Colettes gelben Lederhandschuhen. Darauf hatte er geachtet; Colette liebte Gelb, dieses charakteristische bretonische jaune.
»Mon petit primitif, es ist … ich finde kaum Worte«, sagte Colette. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie hatte vergangene Nacht über Liebesbriefen von Männern geweint, an die sie sich nicht mehr hatte erinnern können. Aber diese Menschen durften die Spuren sehen. Weil all die Tränen, die eine Frau in einem Frauenleben weint – aus Leidenschaft, aus Sehnsucht, aus Glück, aus Rührung, aus Zorn, aus Liebe und aus Schmerz –, weil all die Fjorde der wilden Wasser gemildert wurden unter dem Blick von Freunden.
»Weißt du, Kugeldisteln … die sind selten«, stotterte Simon jetzt. »So wie du, Colette, man findet dich nich einfach so.«
Colette nahm Simons Gesicht in beide Hände. Sie betrachtete seine tiefen Falten um die Augen, in denen man kleine Centstücke verstecken könnte. Dann küsste sie ihn sanft auf seine Mundwinkel, spürte seinen drahtigen Schnurrbart. Er roch nach Sonne und Meer.
»Ähh …«, begann Paul, »die Rumänin ist übrigens da.«
»Welche Rumänin, mon cher?«, fragte Colette milde.
»Die neue Köchin. Simon hat sie heute aus dem Meer gefischt, aber eigentlich kommt sie aus Deutschland.«
»Aha. D’accord«, antwortete Colette verwirrt.
»Sidonie und Marieclaude kommen!«, sagte Simon.
»Wird aber auch Zeit. Ich möchte endlich anfangen, mich an meinem Sechsundsechzigsten zu betrinken«, seufzte Colette.
Sechsundsechzig. Wie schnell man doch alt wurde. Sidonie war ihre älteste Freundin, seit … ja, seit wann eigentlich?
Sie kannten sich, seit Colette während ihres Studiums in Paris zu einem Fest des 14. Juli zurückgekehrt war und Sidonie in einer Gruppe von jungen Leuten aus Kerdruc, Névez, Port Manec’h und den umliegenden Gehöften getroffen hatte. Colette hatte die Achtzehnjährige voller Neugier betrachtet, in ihrer Bigouden-Tracht mit der hohen Haube. Reif war sich Colette mit fünfundzwanzig neben ihr vorgekommen.
Die Steinmetzin hatte nach dem frühen Tod ihres Mannes Hervé nie wieder geheiratet und das alte Steinhaus in Kerambail, kurz vor Kerdruc, allein renoviert. Colette liebte Sidonies Lächeln. Sie arbeitete lächelnd, sie schwieg lächelnd, sie meißelte Granit, Basalt und Sandstein lächelnd. Wenn sie lachte, sah sie aus wie eine Mairaupe, rund und freundlich.
Und jetzt lachte Sidonie laut über das, was Marieclaude erzählte,
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