Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Tag kamen Ebbe und Flut ein bisschen früher, zwei Minuten, vier Minuten; sie mussten so wachsam sein wie Füchse, um den Zeitpunkt nicht zu verpassen, wann die Fische am besten zubissen.
Als die ersten Steakbestellungen aufliefen, winkte Jeanremy Marianne zu sich.
»In dieser Küche gibt es kein kig mit Roststreifen an der Fleischhaut. Das ist ein Folteropfer der Hausfrauen- und Barbecue-Küche! Barbarisch! Sehen Sie? Eine ovale Pfanne. Etwas amann, Butter. Milde Hitze, nicht zu viel tomm-tomm. In der schmalen Pfanne bleibt die Butter dicht am kig, anstatt sich auszubreiten und mit den Schalotten herumzualbern und zu verbrennen. Compris?« Marianne sah ihm fasziniert zu. Er verschmauchte das Fleisch nicht, er liebkoste es. Danach holte er es aus der Pfanne auf einen heißen Teller und schob das Steak bei achtzig Grad in den dreistöckigen Grill, ließ es nachgaren und dann noch eine Minute auf dem angewärmten Teller ausruhen, bevor er die Beilagen arrangierte. »Voilà. Bei jeder anderen Kochweise kann kig bevin sich nicht anders als totstellen. Also falls Sie bisher Fleisch auf den Grill warfen: Vergessen Sie es. Nur einmal, und ich bringe Sie um.« Er machte eine schnelle Handbewegung an seiner Kehle.
Marianne errötete.
Er holte ein Brettchen mit Tintenfischtuben und stellte es in die Nähe der Hintertürschwelle in den Schatten. Wenige Sekunden später kam der rotweiße Kater aus seinem Versteck neben den Küchenkräutern. Er knabberte an der kleinen Leckerei, die ihm Jeanremy kredenzt hatte, und ließ seinen Hintern beim Fressen von der Sonne bescheinen.
Dann warf Jeanremy die acht Kilo Champignons, die Marianne geputzt hatte, in den hohen Topf mit dem siedenden Wasser. Er würde sie auskochen, bis ein halber Liter foñs übrig blieb. Als Löffelprise in einer Sauce war er eines der Geheimnisse, warum es bei ihm um so viel vollmundiger schmeckte als bei anderen.
Unablässig hasteten nun Madame Geneviève und Laurine in die Küche und hefteten Bestellbons an den Küchentresen.
Der junge Koch gab seine Anweisungen jetzt nur noch einsilbig. »Non«, »Ya«, »Attention, tomm-tomm! «. Dann wies er auf das Bassin mit den Hummern und Taschenkrebsen.
»Suchen Sie einen tourteau aus, Mariann«, rief Jeanremy und deutete in das Wasser, in dem die Hummer und kranked aus ihren Stecknadelaugen zurückguckten. Er deutete auf einen der Kochtöpfe und die Uhr. »Ab in den fumet de poisson, den Fischfond, für pemzek minutes.«
»Ins kochende Wasser, das arme Ding?! Aber …«
»Allez, allez!«
»Ich möchte das lieber nicht.«
Jeanremy holte ungeduldig einen Krebs aus dem Aquarium. Als er ihn in das brodelnde Wasser eintauchen wollte, zuckte er vor dem heißen Dampf zurück.
Und dann fiel ihm Marianne plötzlich in den Arm.
»Jeanremy, bitte nicht. Nicht … so.« Ihre Stimme flehte.
Sie sahen sich in die Augen. Jeanremy senkte als Erster den Blick.
Marianne atmete tief ein, griff vorsichtig nach dem Taschenkrebs und setzte ihn auf den blanken Stahltisch. Er lief noch etwas herum, während sie die Flaschen neben der Anrichte durchsuchte. Dann griff sie nach dem Apfelessig und goss dem Tierchen etwas davon in den Mund. Seine Scheren klapperten immer müder über den Stahl, dann klapperte plötzlich nichts mehr.
»Es hört sich seltsam an, aber man kann Tiere auch auf humane Weise töten«, erklärte Marianne dem misstrauischen Jeanremy, der immer noch mit erhobenen Händen in der Mitte der Küche stand. »Essig, verstehst du? Schlafmittel.« Sie legte ihre zwei Hände übereinander an ihre Wangen, neigte den Kopf und schloss die Augen.
Marianne hob den Taschenkrebs ins siedende Wasser. »So, jetzt wirst du gebadet … siehst du, tut gar nicht weh.«
Jeanremy beobachtete, dass sich der Krebs nicht mehr vom heißen Dampf abwandte wie die anderen, die vor ihm schon diesen letzten Gang hinter sich gebracht hatten.
Als Marianne unter Jeanremys Anleitung den Krebs zerlegt und eine Sauce aus Zwiebeln, Knoblauch, Butter, Crème fraîche und Kräutern angerührt hatte, flambierte Jeanremy die Sauce noch mit Calvados, löschte sie mit Muscadet ab und probierte dann eines der Scherenfleischstücke. Etwas war anders. Eine winzige Kleinigkeit. Es schmeckte … nach Meer. Marianne hatte dem Krebs mit ihrem kleinen Essig-Kunststück den Geschmack des Meeres zurückgegeben.
»Netter Trick, Jeanne d’Arc der Meerestiere«, sagte Jeanremy. »Allez. Machen wir weiter. Die werden da draußen sonst meutern.«
Marianne
Weitere Kostenlose Bücher