Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
eine Frau trug, wenn sie einen Mann traf.
Jedes Kleid eine Erinnerung. An Abende, als sie getragen wurden, zur Liebe, zum Streit, zum Vergnügen. Jetzt hängen sie in einem Ebenholzsarg.
Als Marianne an dem Ärmel eines herrlichen roten Kleides roch, stutzte sie. Es war frisch gewaschen.
Frisch gewaschene Erinnerungen?
Marianne ging wieder nach oben und setzte sich unruhig aufs Bett. Sie schaute sich in dem Zimmer um und überlegte, was es für sie bedeuten würde, hierzubleiben.
Marianne wünschte, dass sie eine Frau gewesen wäre, die allein leben und sich auch selbst trösten konnte, wenn die Knoten im Leben und in der Brust zu viele wurden.
Ein ganzes Zimmer für mich allein.
Eine Nacht. Eine einzige. Sie würde es eine Nacht ausprobieren, wie es war, wenn eine Frau ein ganzes Zimmer nur für sich allein hatte.
Dann zog sie die Küchenkleider an und setzte sich zögernd die weiße Kochhaube auf. Vor dem Kochen im Ar Mor hatte Marianne nur ein bisschen Angst. Diese Küche war nahezu so alt wie sie; sie würden sich verstehen.
15
I n der Küche des Ar Mor stand Jeanremy am Herd, seine verletzte Hand hatte er in den Saum seiner Jeans am Rücken geschoben.
Er reichte Marianne ein bol mit Milchkaffee und ein Croissant, und sie tat es ihm nach: das Hörnchen eintunken, über die Tasse beugen, essen und sich nicht um die Krümel kümmern, die in den Kaffee fielen. Aus dem Radio quollen Lieder, die Marianne in den 1970er Jahren einmal gehört hatte, aus den Autos vorbeifahrender Fremder. Born to be wild. These boots are made for walking.
Jeanremy tanzte, während er mit rasender Geschwindigkeit Gemüse putzte, verletzte Hand hin oder her.
»I found me äi brondnju box of matsches«, sang er, »Are you reddy, Buuts?« Marianne hatte nie einen Mann so tanzen sehen. Sie hoffte, dass er sie nicht aufforderte.
»Ich hab mir was fürs Vokabelnlernen ausgedacht, Madame Mariann«, teilte ihr Jeanremy tanzend mit. »Pour le vocabulaire, vous comprenez? Il faut apprendre des mots français et breizh pour tous les … trucs.«
»Trücks?«
»Oui, les trucs. C’est un truc, cela aussi.« Er deutete schwungvoll auf den Tisch, das Messer, den Salat: Alles war trück.
»Dingsbums?«
Jeanremy nickte. » Ya. Dienges-büms.«
Er wies auf einen unverbrauchten Bestellblock und vollführte eine schreibende Geste. Marianne begann, die perforierten Blätter herauszureißen, nahm einen Kugelschreiber und folgte Jeanremy durch die Küche.
Jeanremy diktierte ihr die Begriffe, und sie schrieb sie hin, wie sie sie hörte: Friegoh, Fenettrch, Table. Schließlich klebte Marianne die Zettel auf all die Trücks, bis die ganze Küche mit orangefarbenen Papierstückchen behängt war. Zum Schluss nahmen sie sich noch die Vorratskammer und die Fische vor.
Jeanremy wechselte ins Bretonische. Er liebte die karstige Sprache, die dem Gälischen so ähnlich war. Kig – Fleisch. Piz bihan – Erbsen. Brezel – Makrele. Konikl – Kaninchen. Triñschin – Sauerampfer. Tomm-tomm – Achtung, sehr heiß! Marianne schrieb und schrieb.
Jeanremy lächelte. Er hatte seltener an Laurine denken müssen, seit er sich mit Marianne beschäftigte.
Die hatte etwas Hungriges an sich, fand er. Alles fiel in sie hinein wie in einen tiefen See. Wollte alles anfassen und riechen – wie sie im Kühlraum die Lebensmittel berührte! Sie patschte sie nicht an, sondern hob sie hoch wie zerbrechliche Blüten, um sie mit der Nase zu prüfen, und ihre Finger schienen in die Seele der Speisen hineinzufühlen.
Wenn Jeanremy Marianne und ihr herzförmiges Gesicht mit den großen Augen ansah, füllte sich die Leere, die ihn so mutlos durchfloss, wenn er an seine aussichtslose Bewunderung für die junge Kellnerin dachte, mit Helligkeit. So etwas wie Zuversicht durchdrang ihn, er wollte Pläne schmieden.
Er hatte Marianne Vorträge über die Wichtigkeit des Essens und seine Wirkung auf die Seele gehalten, auch wenn er wusste, dass sie wenig verstand. Wie er es liebte, einzukaufen, und dass die größte Kochkunst damit begann, die frischesten und besten Waren zu jagen. Er streifte an den Ruhetagen außerhalb der Sommersaison durch die Destillerien, die Muschelfarmen und an den Flüssen Aven, Belon oder in der Bucht von Morbihan entlang, um geduldige Rentner zu finden, die wilde Fische angelten. Diese Männer verstanden noch den Rhythmus der bretonischen Natur. Sie wussten, dass sie pünktlich sein mussten – nach dem Diktat von Mond und Tide. Jeden
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