Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
fühlte sich nach einer Stunde, als ob sie nie etwas anderes getan hätte, als sich in einer bretonischen Küche zwischen zischenden Gasflammen und glänzenden Töpfen zu bewegen.
Als der Ansturm vorbei war, goss Jeanremy ihnen kühlen Muscadet in Wassergläser, zerlegte einen Hummer und winkte Marianne zu einem Pausen-Diner auf die sonnige Türschwelle zum Hinterhof.
Die Sonne tanzte mit den Blättern der Bäume, die Luft roch nach Rosmarin und Lavendel.
»Sie sind eine gute keginerez «, stellte Jeanremy fest. »Yar-mat.«
Marianne hatte noch nie am helllichten Tag Wein getrunken, geschweige denn Hummer gegessen. Sie schielte zu Jeanremy, und als er ungeniert mit den Fingern aß, tat sie es ihm gleich.
Für einen kostbaren Augenblick fühlte sich das Leben richtiger denn je an.
Am Ende ihrer Schicht hatte Jeanremy ihr einen Vorschuss gegeben. Morgen war Ruhetag im Ar Mor.
Marianne war nach oben in das Muschelzimmer gestiegen, hatte ein Bad genommen und die Erschöpfung ihres Körpers genossen. Der Kater hatte auf dem Badewannenrand gesessen und sich geputzt. Nun lag sie auf dem Bett und betrachtete die Geldscheine, die sie an die Fliese gelehnt hatte. Ihr ganz und gar eigenes Geld.
Marianne drehte sich auf den Rücken. Dann fiel ihr auf, dass sie in diesem Bett ganz dicht am linken Rand lag. Als ob Lothars Körper neben ihr wie immer den meisten Platz beanspruchte. Sie rückte in die Mitte und breitete zögernd die Arme aus.
Der Kater machte es sich mit einem kühnen Sprung zwischen ihren Waden bequem. Er sollte einen Namen haben, dachte Marianne, während sie ihn sanft kraulte. Aber … wenn sie ihm heute einen Namen gab, würde es ab morgen niemanden mehr geben, der ihn aussprach.
Vorsichtig stand sie wieder auf. Sie wollte sehen, wie Kerdruc in der Abenddämmerung aussah. Sie löschte das Licht und öffnete die Flügel der Fenster.
Marianne hörte nur das Glucksen des Flusses, das leise Klappern der Stahlseile an den Masten der Schiffe, das Zirpen der Grillen. Die Farben schienen sich erst zu verstärken, als ob sie in der blauen Dämmerung noch einmal erblühten. Und dann begannen sie, sich aufzulösen und in unzählige Schatten zu zerfallen.
Ein Schatten bewegte sich auf die Mole zu. Wie ertappt trat Marianne vom Fenster zurück. Sie sah Madame Geneviève Ecollier am Quai stehen, wie sie ein Glas Champagner erhob. Ihr ganzer Körper drückte Trotz aus – Trotz und Wut. Es war, wie in ein lebendiges Tagebuch zu schauen.
Geneviève prostete hinüber nach Rozbras. Ordentlicher, feiner und teurer sah es dort auf der anderen Seite des Ufers aus, wie ein Modelldorf, fand Marianne, die dem Blick der Restaurantbesitzerin folgte. Dagegen war Kerdruc eine ungeordnete, verwitterte Antiquität.
Marianne wusste plötzlich, dass Geneviève die Kleider versteckte, weil sie die Erinnerungen hasste, die in ihnen verwoben waren. Und doch nicht von ihnen lassen konnte.
Geneviève Ecollier trank den Champagner in drei Zügen aus.
Dann warf sie das Glas weit über die Hafenkante in den Fluss.
Marianne zog sich verwirrt in ihr Bett zurück, robbte mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln in die Mitte und fiel nach Sekunden in einen sirupartig süßen Schlaf.
Ihr letzter Gedanke war so flüchtig, dass sie ihn kaum festhalten konnte.
Das war ein schöner Tag.
16
M arianne erwachte vor Sonnenaufgang. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie je einen so tiefen, nährenden Schlaf genossen hatte; sie hatte sich so sicher und geborgen gefühlt. Sie sah aus dem Fenster und konnte das Meer riechen.
Als Marianne an der verwaisten Rezeption vorbeitappte, nahm sie aus einem Impuls heraus eine der alten, über die Zeit blass gewordenen Postkarten, auf der die Auberge zu sehen war, aus einem Ständer. Sie waren schon vorfrankiert.
Marianne schrieb die Adresse ihrer Celler Nachbarin Grete auf die feinen Linien. Dann hielt sie inne. Sie wollte danke sagen. Dass es Grete Köster für Marianne gegeben hatte, ihr Lachen, ihre Marabufeder-Hausschuhe und ihr Leben, an dem Marianne teilhaben konnte. Mit Postkarten, die ihr Grete aus der ganzen Welt geschickt hatte, um ihre Liebe zum Friseur zu vergessen.
Er war verheiratet, und in all den zwanzig Jahren, in denen er mit Grete schlief, war er jede Nacht zu seiner Frau zurückgekehrt. Als diese starb, war er zwei Wochen später auch gestorben. Grete war empört. »Da hat er so ein schlechtes Gewissen, dass er ihr auch noch dahin nachschleicht!«
»Danke. Für alles. Und weil Sie
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