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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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antwortete nicht. Es musste schnell gehen. Sehr schnell. Der braune, brüchige Lederkoffer, den sie in der Kleiderkammer im Zwischengeschoss gefunden hatte, ging problemlos zu. Marianne stopfte ihre Kleider, die Fliese und ihre restlichen Habseligkeiten hinein.
    »Liebt er dich?«
    »Ich weiß es nicht.« Sie zog sich rasch Hose und Pullover über und versteckte ihr nasses Haar unter einer Baskenmütze.
    »Wo willst du hin? Zu ihm?«
    Marianne antwortete nicht. In ihr waren keine Antworten auf diese Fragen; sie wusste nur, dass sie fortmusste. Fort von Yann, dem sie verschwiegen hatte, wer sie war und woher sie kam. Dass sie nur eine alte Frau aus Celle war, aus einem blassen Leben, niemand, den ein Mann wie er ernsthaft verdiente.
    Sie hatte ihm vorgegaukelt, frei zu sein, doch das war sie nicht.
    »Mariann. Bitte. Mon amour …«
    Sie legte Yann ihren Zeigefinger auf die schönen, geschwungenen Lippen. Wie er sie ansah, ohne Brille im hellen Licht des Nachtmittags … Gott, eben hatten sie sich noch mit einem hungrigen Verlangen geliebt. Hatten scheu zueinandergeblickt, weil im harten Licht des Tages deutlich wurde, dass sie beide nicht mehr jung, sondern älter waren. Doch ihre Gefühle waren jung, und in ihnen hatten alte Sehnsüchte gewartet.
    Jetzt wurde Marianne von einer Welle der Scham überflutet.
    Ich bin eine Ehebrecherin.
    Und es hatte ihr gefallen. Und sie würde es wieder tun, wenn sie könnte. Doch sie konnte nicht.
    All das war in ihr, doch vermochte nicht ausgesprochen zu werden.
    Sie zog die Jacke über und schlüpfte in die Leinenschuhe. Dann griff sie nach dem Koffer.
    »Mariann!« Yann stand auf, nackt, wie er war. Er sah sie voller Trauer an.
    » Kenavo, Mariann,« sagte er leise und zog sie in seine Arme.
    Sie umschlang diesen Mann, der von ihr so besessen war, wie es Lothar nie gewesen ist; der hatte Marianne niemals, nicht mit einer Geste, das Gefühl vermittelt, sie sei das Unersetzlichste für ihn. Es entzückte und erschreckte sie zugleich. Mit diesem Erschrecken rannte sie die Treppenflure hinab und verließ die Auberge.
    Als Marianne in die Nachmittagssonne trat, versank sie in einer gesättigten Fülle von Licht, von Luft, von intensiven Farben, überall, in den Bäumen, im Wasser. Sie warf einen Blick zur geöffneten Küchentür.
    Jeanremy. Sie musste Jeanremy sagen, dass …
    Marianne hörte murmelnde Stimmen von der Terrasse; und die Geräusche eines Fernsehers. Sie hörte immer wieder ihren Namen aus dem Gemurmel heraus und wusste, alle hatten sie gesehen. Alle wussten nun, dass sie eine Betrügerin war, ein Flüchtling, eine verrückte Selbstmörderin.
    Marianne wagte nicht, ihnen unter die Augen zu treten.
    Das Katerchen lief ihr zwischen die Beine. Marianne lief um ihn herum und sah ihn nicht an. Der Kater begann zu schreien. Er miaute nicht, er fauchte nicht; der Kater schrie, es war ein heiseres Schreien, als ob er versuchte, seine Stimmbänder zu etwas anderem als Katzenlauten zu formen.
    Marianne tat nichts gegen die Tränen, die ihr den Blick verschwimmen ließen, und schritt die kleine Straße hoch, die sie vom Hafen fort, von Yann fort, vom Kater fort, von allem fort und aus Kerdruc hinausführen würde.
    Marianne lief und sah sich nicht um. Je weiter sie sich entfernte, desto mehr hatte sie das Gefühl, in einen Sack genäht und ertränkt zu werden; das Atmen fiel schwer und schwerer. Ihr war, als ob sie im Sterben lag.

32
    A uf dem Rückweg nach Kerdruc war Jeanremy, ohne es geplant zu haben, nach Rospico abgebogen und weiter nach Kerascoet, das fünfhundert Jahre alte Weberdorf mit den restaurierten Reetdachkaten aus stehenden Steinen.
    Am Rande des Dorfes wohnte Madame Gilbert. Er ließ sein Motorrad in ihren Hof ausrollen, der von Kiefern gesäumt war; als er den Helm absetzte, konnte er das Brausen des Meeres hören. Er dachte an die Briefe an Laurine, die im Kühlhaus vor sich hin froren.
    Er fand Madame Gilbert auf der uneinsehbaren Terrasse, hoch über dem Küstenpfad, und er fand sie allein.
    »Nehmen Sie die Sonnenbrille ab.« Das waren die ersten Worte, die sie wechselten, nachdem er Madame Gilbert aus dem Stuhl gezogen und vor sich her in ihr Schlafzimmer gedrängt hatte. Sie nahm die Brille ab, legte sie auf den Nachttisch neben das Bild ihres Mannes und ihre Hand mit der Innenfläche nach oben über ihre Augen, um die Fältchen zu verbergen.
    Sie hatte die Hitze der grellen Sonne vor den blauen Fensterläden ausgeschlossen. Als sich Jeanremys Augen an

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