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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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–, sie stehen um mein Bett herum, wenn ich versuche zu schlafen. Ich sehe sie alle da, wie sie auf mich herabblicken – sie sind in jeder Spiegelung, an den dunklen Stellen, Ehemänner in den schwarzen Fensterscheiben, Ehemänner in der Spiegelung des Mondes auf dem See, Ehemänner, die zusammen mit dem Ungeheuer des Flimmerspiegelsees unter dem dunklen Eis schwimmen. Erinnern Sie sich, wie wir es damals gesehen haben, Charlotte – an dem Tag, als wir am Ufer spazieren gingen, wir kannten uns noch kaum, und da tauchte es nur ein paar Meter von uns entfernt aus dem Wasser auf und schaute uns an, lächelte uns mit seinen schwarzen Augen zu und ging dann wieder unter – wir waren noch Mädchen, Charlotte, schnatternde junge Dinger, und wir hatten immer gedacht, es sei nur eine Legende, und da war etwas an jenem Tag, das mich an Sie band und Sie an mich, trotz alldem, was wir vorgeben, vom anderen nicht zu wissen. Meine Ehemänner sind wie jenes Ungeheuer, sie lauern, und ich habe hier drinnen zehn Wachskerzen angezündet, das Feuer lodert, alles ist taghell, doch in jeder Spiegelung, jeder dunklen Ecke sind Ehemänner. Ich weiß, dass sie nicht hier sind. Und doch sind sie es. Sie verstecken sich im Quecksilber der Spiegel, sie sind nicht wirklich, aber sie sind da, es gibt gar keine Geister, aber sie sind da. Und ich fürchte mich – so sehr, dass ich nicht schlafen kann –, und selbst Marie-Claude fragt mich, ob es mir nicht gut geht.
    Ich glaube, ich bin geistig verwirrt. Die Nervosität, an der ich litt, seit der arme Godfrey starb, ist nie ganz verschwunden – ich habe sie
einfach nur gut verborgen – ich schreibe Ihnen, weil ich nicht mehr lesen kann – die Buchstaben wimmeln vor meinen Augen wie Regenwürmer. Ich habe das Gefühl, dass ich Fieber habe.
    Sie sind Schriftstellerin (ja: nur ich weiß das und die ganze Stadt – Sie denken, dass Sie es geheim gehalten haben, aber jeder weiß es). Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen.
    Und die geht so. Ich war die Prinzessin, sie der Frosch. So fängt es immer an in diesem Märchen: Ich war schön, zart, hübsch, lieb – sie dunkel, riesig, wuchtig, widerspenstig, ganz gleich, wie viele Gerten mein Vater auf ihrem Rücken zerbrach. Er hasste sie, hasste sie. Nahm sie mit hinter die Gerberei und schlug sie bis aufs Blut, für die geringsten Vergehen. Seit sie ein kleines Mädchen von vielleicht fünf oder sechs war – wegen eines zerbrochenen Spiegels, einer ungezogenen Bemerkung. Sie hätten sie sehen sollen – meinen riesengroßen, wütenden Vater und meine Schwester, störrisch wie ein Maulesel. Sie war immer viel größer als ich – ich war das Vögelchen –, mein Vater liebte mich, alle liebten mich. Meine Schwester und ich schliefen in dem kleinen Spukzimmer in diesem Haus, dem Zimmer, in dem meine Großmutter Hetty, die Sklavin, ihr Unwesen trieb (oh, tun Sie nicht so, als hätten Sie die Gerüchte nicht gehört – ja, sie sind wahr, jedes Wort davon – ja, ich stamme von einer Sklavin ab. Von einer, die Ihr wundervoller Großvater in die Stadt brachte, verstehen Sie? Der gute Quäker, der große Marmaduke. Der Heuchler. Das war also eines der Dinge, die sie mir bei Godfreys Beerdigung zuflüsterten, ja, dass ich von Sklaven abstamme? Dass mein Vater zu sehr wie der alte Grundbesitzer Marmaduke Temple aussah, um die Gerüchte verstummen zu lassen? Dass unser Blut vielleicht ja doch nicht ganz so verschieden ist, meine kleine, unscheinbare Freundin? O ja, das alles habe ich gehört, alles.)
    Wir schliefen in Großmutter Hettys Spukzimmer. Ginger piesackte mich. Manchmal band sie mich an den Bettpfosten und zog so fest, bis es mir fast die Arme auskugelte. Dann schaute sie zu mir, überlegte,
grausam, steckte mir eine Nadel unter die Nägel und drückte sie hinein, bis ich schrie.
    Wann immer mein Vater sie dabei erwischte, peitschte er sie bis aufs Blut. Immer. Meine Mutter sagte nie ein Wort. Sie konnte nicht sehen, war blind. Später nahm mein Vater Ginger mit hinter die Gerberei, um sie zu bestrafen, aber man sah keine Spuren von Schlägen. Mit zwölf war sie so groß wie ein Mann, hatte die Muskeln eines Mannes. Ginger war gut in der Gerberei, sie war stark, konnte die Haut mit einem Ruck vom Fett abziehen. Mit vierzehn weckte sie mich manchmal mit einer Ohrfeige und riss mich gewaltsam aus dem Bett. Barfuß musste ich die Treppe hinunter, hinaus über den gefrorenen Rasen, der so kalt war, dass es mir die Füße verbrannte. Hinab zur

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