Die Monster von Templeton
Familie gesehen zu haben – ganz schlicht und schnörkellos und mit seltsamem Klang. Es wäre nicht völlig auszuschließen, dass meine Schwester etwas aus dem Haus Ihrer Familie stehlen würde. Ein großer roter Papagei krächzte den Männern zu, die im Salon saßen, tranken und lachten. Meine Schwester war da, in ihrer Männerkleidung, gewaltig wie ein Berg, streng, mit einem Fächer aus Pfauenfedern als einzigem Zugeständnis an ihre Weiblichkeit, und sammelte das Geld von den Männern ein, die die Treppe herunterkamen und hinausgingen.
Ich versteckte mich hinter einer Pflanze, von der aus man zwar den ganzen Raum im Blick hatte, selbst jedoch nicht gesehen werden konnte. Ich wartete.
Und die Männer, die ich sah, Charlotte – hier befürchte ich, Sie zu schockieren, denn es war eine Reihe bekannter Gesichter. Sogar Pater Henrick, der deutsche katholische Priester, war da, obwohl er sich hinter einem Vorhang in der Küche versteckte. Solomon Falconer. Nat Pomeroy. Selbst Dr. Spotter mit seiner fettigen Stirn. Noch mehr könnte ich benennen, aber ich werde es nicht tun. Ich kauerte eine Weile dort hinter der Pflanze, und niemand im Raum schien mich wahrzunehmen.
Ich war mir sicher, dass Ginger mich nicht gesehen hatte – und doch stand sie an einem bestimmten Punkt auf und sagte mit ihrer tiefen Stimme: «Irgendwie zieht es hier. Möchte jemand ein bisschen Kuchen, wenn ich schon mal aufgestanden bin?» Und die Männer johlten – es musste eine Art geheime Abmachung gewesen sein, und als Ginger an mir vorbeidonnerte, schaute sie mich an und nickte, und so wusste ich, dass ich ihr folgen sollte. Das tat ich dann, nach etwa einer Minute.
Ginger wartete hinter der Tür auf mich, als ich hereinkam. «Also», sagte sie, schloss die Tür hinter sich, lehnte sich mit ihrem riesigen Körper dagegen und lachte. «Also, Cin, du kommst mich also an meiner Wirkungsstätte besuchen, sehe ich. Brichst die geheime Vereinbarung mit deinem toten Gemahl. In dieser Aufmachung. Was für ein Frevel!» Und sie zupfte an meinem Kragen.
«Ich kam», sagte ich, «um meine Schwester zu besuchen. Um zu sehen, wie es ihr geht.»
«Mir geht’s gut», sagte sie überrascht.
Einen Moment lang schauten meine Schwester und ich uns an. Dann kam der Junge in dem grünen Kleid die Küchentreppe herunter, der Priester ihm auf den Fersen, und er gab dem alten Mann ein Küsschen auf die Wange, als er hinausging. Der Junge wandte sich uns zu, und sein hübsches Gesicht leuchtete auf.
«Oh, Papa Gin», sagte er leise, «Ihre Schwester, sie sieht aus wie ein Junge. Ich bin mir sicher, bei den Burschen von der Akademie würde sie gut ankommen.»
Ginger lachte und küsste ihn lang und liebevoll auf die Lippen. «Geh schon», sagte sie zu ihm. «Zurück an die Arbeit, mein kleines Liebchen.» Und als er einen Knicks machte und zurück in den Salon ging, wandte sich meine Schwester wieder an mich. Ihre Augen glänzten immer noch. «Was sagst du, Cin? Suchst du nach Arbeit hier?» Sie trat nach vorne, als wollte sie mich um armen.
Ich wich zur Tür zurück. «Ich bin eine ehrenwerte Frau», sagte ich entrüstet.
Ginger schürzte die Lippen, und das Lächeln in ihren Augen erstarb. «Da hab ich was ganz anderes gehört.»
Ich war wütend. «Ist mir völlig gleichgültig, was du gehört hast, Ginger», sagte ich. «Geh zum Teufel.»
Sie schnaubte. Und dann sagte sie, so leise, dass es fast ein Flüstern war: «Zum Teufel. Na ja, bei dem sind wir ja schon, oder? Und deine Ehemänner, die lassen grüßen.»
Ich floh. Zu Hause angelangt, schlug mein Herz so laut, dass mir der Sinn nach Zerstreuung stand, und so nahm ich vermutlich zu viel von Mudges Trank ein. Heute, drei Tage später, bin ich aufgewacht, Marie-Claude stand stirnrunzelnd an meinem Bett, eine Schale mit Suppe in den Händen. Ich aß sie, und sie gab mir die Kraft, an Sie zu schreiben.
Schicken Sie mir jetzt einen Beweis Ihrer Treue, Charlotte, und helfen Sie mir dabei, meinen Kummer zu lindern. Tun Sie es rasch, sobald Sie meinen Brief in Händen halten.
Bitte, Charlotte – ich bin verloren.
Ihre Freundin
Cinnamon
***
Aus der Feder von Charlotte Temple, Franklin House, Blackbird Bay, Templeton
Siebenter Februar 1862
Meine liebe Cinnamon,
mit welch sonderbarer Bitte Sie an mich herantreten! Ich hatte zwei schreckliche Tage, in denen ich mit mir rang, ob ich Ihnen denn nun das sagen soll, worum Sie mich bitten, aber ich habe beschlossen, es doch zu tun. Wenn Ihnen jemand
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