Die Monster von Templeton
einen Steckbrief aus der Zeit Ihrer – wie sagt man?
– fuite
geschickt. Natürlich ist die Zeichnung nicht allzu schmeichelhaft. Und doch, eine gewisse Ähnlichkeit ist durchaus deutlich zu erkennen.
Mit den besten Wünschen
Cinnamon Averell Stokes Starkweather Sturgis Graves
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Dr. Spotters Akademie, Templeton
Le 27 mars
Chère
Mme. Graves,
malheureusement kann mir Ihr Brief nicht im Geringsten Angst machen. Ganz im Gegenteil. Er treibt mich zu einer Entscheidung, von der ich die Hoffnung gehegt hatte, sie nicht treffen zu müssen. Ich habe Miss Charlotte Temple gebeten, meine Frau zu werden, und sie hat mit Freuden eingewilligt. Mit meiner Vergangenheit, oder zumindest einem großen Teil von ihr, bin ich ins Reine gekommen. Wie sagt man: Ich habe reinen Tisch gemacht. Es scheint, dass auch meine Verlobte einige Makel in ihrer Familiengeschichte hat. Selbst ihr überaus vornehmer Großvater hat, wie sie mir erzählte, unter höchst seltsamen Umständen gelebt, vielleicht mit einer Sklavin. Aber das ist Ihnen ja möglicherweise bekannt. Obwohl durchaus Tränen flossen, und nicht wenige, als ich Charlotte mit den Umständen vertraut machte, war ich sogleich zur Hand, um sie mit meinen Küssen zu trocknen. Die Vergangenheit tritt doch ganz in den Hintergrund, wenn man eine solch glänzende Zukunft vor sich hat, nicht wahr? Und so haben wir uns geeinigt. Wir werden am 20. April heiraten, in der Christ Church, wo ihre Vorfahren begraben liegen. Ich sollte Sie einladen, doch Sie sind noch in Trauer, und man soll
la belle veuve
nicht zur Unzeit an der Öffentlichkeit sehen, hörte ich.
Da ich meine Freiheit mindestens ebenso zu schätzen weiß wie das Geld, gibt es einen Teil in mir, der diesen Schritt, den ich nun für unabdingbar erachte, bedauert. Doch Trost ist nicht fern. Miss Temple ist hübsch genug, und ihr großes Vermögen wird mir ein Leben nach meinen Wünschen ermöglichen. Stimmen Sie nicht mit mir überein?
Mit großem Respekt und den besten Wünschen
Charles «de la Vallée» Le Quoi
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Averell Cottage, Templeton
29. März
Monsieur, «Le Quoi»,
Ich finde Ihren Namen so passend, wissen Sie – «das Was». Genau! Vielleicht wäre Ihre zukünftige Frau ja daran interessiert zu erfahren, dass Sie – an drei bis vier Abenden die Woche – Stammgast eines gewissen, übel beleumundeten Hauses in Templeton sind. Ganz gewiss würde sie Ihre Hochzeit absagen, und Sie würden mit nichts auf der Welt dastehen, ohne Ihre kleine Verlobte und ihr ganzes Geld. Wahrscheinlich würde man es auch nicht als angebracht erachten, dass Sie Ihre derzeitige Funktion an Spotters Akademie weiter bekleiden, wenn die Neuigkeit erst einmal bekannt wird. Wie schade wäre das.
Ihre Freundin
Cinnamon Averell Graves
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Dr. Spotters Akademie, Templeton
Le 1 avril
Mme. Graves,
verzeihen Sie mir, aber heute ist der Tag, den wir in Frankreich
le poisson d’ avril
nennen und an dem die Leute Scherze miteinander treiben. Ich denke, auch diese Ihre Drohung ist ein solcher Scherz. Es ist bedauerlich, dass Sie keinerlei Beweise für Ihre Behauptungen haben. Die meisten Schandmäuler können mit Geld gestopft werden, und man wird nie wieder etwas von ihnen hören. Ebenso möchte ich bezweifeln, dass meine liebe Verlobte Ihnen Glauben schenken würde, nachdem Sie offensichtlich keine Freunde mehr sind. Einst waren Sie
es, aber jetzt will sie nicht mehr über Sie reden. Warum solche Kälte, frage ich mich, wenn sie zuvor nur mit großer Zuneigung über Sie sprechen konnte? Das zu begreifen will mir nicht gelingen. Aber das werde ich noch. Ich muss mich fragen, warum Sie so eifrig darauf bedacht sind, mich zu verfolgen. Fürchten Sie möglicherweise um das Glück Ihrer «Freundin»? Oder wünschen Sie ihr ein solches Glück gar nicht? Das frage ich mich. Dennoch stehe ich natürlich gerne zu Ihrer Verfügung. Vielleicht könnte ja ein entsprechendes Angebot immer noch mein kleines Interesse wecken.
Stets zu Diensten
C. Le Quoi
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Fünfter April
(unadressierter Zettel, fleckenlos)
Madam Ginger, vergeben Sie mir dieses anonyme Schreiben. Eine Person aus Ihrer Bekanntschaft ist Ihnen nicht wohlgesinnt. Ich habe in dieser Angelegenheit viele Nächte mit Beten verbracht. Am Ende wusste ich, dass Sie zwar eine Gefallene sind und dereinst für Ihre Sünden gerichtet werden, es jedoch dennoch meine christliche Pflicht ist, Sie zu warnen. Bitte hinterlassen Sie, wenn Sie antworten wollen, eine Nachricht unter dem Sockel der
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