Die Monster von Templeton
Crogan stellte lautstark einen weiteren Becher Wein vor meinen Mann auf den Tisch, und er nickte ihr zu, sagte, sie solle ihn für ihn aufheben, erst müsse er sich abkühlen. Der Lärm der vielen feiernden Männer war ihm unerträglich, auch der Druck auf seiner Blase war es, und unerträglich war schließlich auch sein schlechtes Gewissen: wenn er sich Namenlos vorstellte, wie sie eines Tages nackt und glatt im See gebadet hatte, wie sie bei den Bäumen zu ihm getreten war, wie das Wasser über ihren vollkommenen, jungen Körper lief, an den Kuss, warum nicht, und jetzt lag das Mädchen tot in Shipmans schmutziger Hütte, und das rothaarige Baby brüllte in den Armen der betrunkenen Hebamme. Vielleicht dachte er ja, er könne etwas tun, das ihr das Leben erleichtern würde, jenem armen Kind, das immerhin seine Tochter war.
Ich stellte mir vor, wie er durch die Tür in die Nacht hinaustrat, um sich zu erleichtern, und sich allein fühlte, sicher fühlte. Was er nicht sah, waren die mannigfaltigen Gefahren, die in den Gassen auf ihn lauerten. Der Lärm aus dem Kühnen Dragoner, wo die Antiföderalisten einen Streit mit ihrem eigenen Fiedler angefangen hatten. Im Kühnen Dragoner war es lauter als im Eagle, wo die Sieger, die Föderalisten, feierten. Ich stellte mir vor, wie es Marmaduke in die Second Street trieb, angezogen vom harten Glitzern des Mondes auf dem vereisten See, von der Kälte der Nacht, der Dunkelheit, dem Stolz auf diese seine Stadt, die er mit seinen eigenen Händen aufgebaut hatte.
Und ich kannte den Moment, in dem der Schlag ausgeführt wurde. Ich wusste, dass es nicht bloß eine Person war, die es tat. Denn auch ich war beteiligt. Indem ich ihn nicht gewarnt hatte, indem ich ihm nicht befohlen hatte, daheim zu bleiben, hatte ich, die derweil eiskalt in ihrem großen Haus saß, ihn getötet.
Und dann wartete ich darauf, dass man seine zusammengesunkene Gestalt auf der Straße finden würde. Sah, wie das Blut auf die eisige Straße floss und dort gefror. Ich wartete auf die Männer, die ihn mirnach Hause bringen würden, darauf, dass unser Bluthund seine Trauer in die Nacht hinausheulen würde, wartete auf Mingo, der diesen großen, langsam erkaltenden Körper hereintragen würde, zu mir zurück ins Haus, das er besser nie verlassen hätte, wartete auf meinen braven Diener, der ihn mir bringen würde wie ein Geschenk, die Augen niedergeschlagen, damit ich den Triumph in ihnen nicht sah. Und ich würde an mich halten, wenn wir ihn zur letzten Ruhe betteten, damit ich den Triumph in all den Gesichtern nicht sehen musste, in all den schrecklichen, hasserfüllten Gesichtern. Und in jener Nacht wartete ich auf das Klopfen, öffnete die Tür und ließ seine Leiche ins Haus. Ich öffnete die Tür dieses Hauses, das er erbaut hatte, des Hauses, das mir zu schenken er immer geträumt hatte. Die abkühlende Hülse meines Ehemannes, eine zerbrochene und ausgestorbene Ruine; ein Ehemann, der mir am Ende nie wirklich gehört hatte.
Aufsteigen aus der Tiefe, die Sonne, noch ein Atemzug
Es waren nur ein paar Stunden, aber mir kam es vor wie ein Ozean aus Zeit.
Ich saß am Küchentisch mit meiner Henkeltasse voll kaltem Kaffee und schaute auf Guvnors kleines Schreiben. Mein Gehirn war eingefroren.
Irgendwann klopfte jemand ans Garagentor, gab es dann auf, ging zur großen Eingangstür und klingelte dort. Ich stellte mir vor, wie in einer Vision, dass Ezekiel Felcher in seinem kurzärmeligen Hemd da draußen stand und mit ungeduldig gerunzelter Stirn im Sprühregen vor sich hin fröstelte. Ich sah jede Falte in seiner Jeans, jeden Muskel, der sich an seinem Rücken zusammenzog und wieder löste, als er von dannen zog.
Ich konnte dafür einfach kein Interesse aufbringen. Hinter mir spielte sich vor der großen Fensterfront das langsame Ende dieses feuchten Tages ab, und während es über dem See dunkelte, wurde es auch im Zimmer dunkel und dann noch dunkler.
Kurz vor acht hörte der Regen auf, und die Frösche stimmten ihren munteren Chor an.
Ich saß in der Dunkelheit, bis sich Scheinwerfer näherten und das Eis in meinem Kopf taute.
Es kamen Stimmen von draußen, Clarissas fröhliches Lachen konnte ich sogar von meinem Platz am Tisch aus hören. Doch bevor die Tür aufging und sie hereinstolperten, hielt ich das Schreiben noch einmal in das wässrige Mondlicht und las erneut, was da stand.
Testerment von Master Guvnor Averell
Am 24. Dezember 1799
Hab heut Abend den Tod von Marmduke Temple gesehen,
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