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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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– beim Bauernmuseum um die Ecke gebogen war und meine winzig kleine Stadt erblickte, die dort zusammengekauert im Dunkeln lag, eine perfekte Modellstadt (so lieblich und gut). Damals hatte ich gespürt, wie sich ein wichtiger Teil in mir langsam auflöste und begann dahinzu schwinden.
    In dem Moment fielen mir die Augen zu, ohne dass ich es wollte. «Eigentlich sollte ich in Alaska sein. Eigentlich sollte ich auf der Suche nach dem ersten Menschen sein, der auf diesem Kontinent gelebt hat.» Ich seufzte und sagte mit großer Mühe: «Ich sollte nicht hier in Templeton sein.» Und dann schlief ich ein.
    Ich hatte von Primus Dwyer geträumt, und als ich aufwachte, lag noch immer die unnahbare Landschaft von Alaska bebend vor meinem inneren Auge. Durch meine Jalousien drang ein weicheres Licht, und als ich sie hochzog, sah ich, dass es draußen dämmerte. Die Spitzen eines rotweiß gestreiften Zeltes ragten über den Baumwipfeln des Lakeside Park empor. Ich vermutete, dass man es für das Ungeheuer errichtet hatte, damit es vor der Julisonne geschützt war. Als ich unter meiner Dusche mit ihrem heißen Wasser, ihrer Seife und dem Shampoo stand, hätte ich fast geweint vor Erleichterung, und als ich heraustrat und mich in dem beschlagenen Spiegel betrachtete, merkte ich, dass ich schon wesentlich besser aussah. Immer noch mager, immer noch miteinem Ausdruck der Verlorenheit. Doch mein Gesicht war nicht mehr so aufgedunsen, die Augen über den Wangenknochen waren wieder deutlich zu sehen, und selbst in diesem Moment regte sich in mir ein winziger Hauch von Eitelkeit. Ich sah gar nicht schlecht aus, sagte ich mir; ich war immer noch ein hübsches Mädchen. Und selbst mein Bauch unter dem Nabel war noch ganz flach, als ich meine Hände darauf legte und einen winzigen Herzschlag durch meine Haut hindurch spürte.
    Ich kramte ein viel zu großes altes T-Shirt hervor und ging nach unten. Meine Mutter drehte sich vom Küchentresen um, in der Hand eine rohe Hühnerbrust, und lächelte mich unsicher an. «Sie ist wach», sagte sie mit einer rauen Stimme, als wäre sie selber gerade erst aufgewacht. «Mein Dornröschen. Du warst sechsunddreißig Stunden nicht ansprechbar. Ich musste dir einen Spiegel an die Lippen halten, um mich zu vergewissern, dass du noch atmest.»
    «Und hab ich noch geatmet?»
    «Kaum», sagte sie. Sie füllte die Hühnerbrust mit einer intensiv duftenden Mischung aus Koriander, Feta und Jalapeños. «Du hast das ganze Tamtam verpasst. Es ist sehr aufregend.» Sie nickte in Richtung Fernseher, wo ein Reporter, vor Aufregung ganz rot im Gesicht, stummgeschaltet vor sich hinbrabbelte und dabei auf das Ungeheuer zeigte, das vor der Kamera verweste, eine seiner zarten Hände auf der Brust zusammengerollt – ein riesiges, gelbes, plumpes Ding, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einem in der Soße schwimmenden Klumpen Butter hatte. Hinter dem Reporter stand die Bronzestatue des Mohikaners mit seinem Hund. Lakefront Park. Meine Mutter lächelte erwartungsvoll.
    «Ach. Du meinst das Ungeheuer», sagte ich. «Ich weiß. Ich war dabei, als sie es an Land gebracht haben.»
    Vi sah überrascht aus, runzelte die Stirn, als hätte ich gerade ein Geschenk von ihr zurückgewiesen, über das sie lange nachgedacht hatte, und wandte sich dann wieder ihren Hühnerbrüsten zu, legte sie nebeneinanderaufs Backblech, eine ganze Batterie von rosafarbenen, mit einer glänzenden Schicht überzogenen Hügeln. Ihr Eisenkreuz klapperte gegen den Tresen. Ich sah, wie ein weiterer Reporter begann, einen Wissenschaftler zu interviewen: DR. HERMAN KWAN, hieß es auf der Infozeile über ihm, WELTBERÜHMTER ZOOLOGE FÜR WIRBELTIERE. Ich drehte die Lautstärke hoch.
    Der Reporter sprach abgehackt, als wären seine Worte Kräcker, an denen er knabberte. «Die Welt», sagte er gerade, «wartet mit angehaltenem Atem – was aber nichts mit dem Geruch des Tieres neben mir zu tun hat, haha –, um zu erfahren, was denn nun genau die Einwohner von Templeton, New York, gestern morgen aus dem Flimmerspiegelsee geholt haben. Was können Sie uns dazu sagen, Dr. Kwan?»
    «Gar nichts», sagte der Zoologe und rückte seine Brille mit dem Daumen hin und her. Er schwitzte im Licht der Scheinwerfer, und unter seinen Armen breiteten sich große Schweißflecken aus. «Um ganz ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass wir bereits etwas sagen können. Eigentlich nichts. Es ist nur … Nun, schön ist es. Das Schönste, was ich je gesehen habe.» Und hier

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