Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
Vom Netzwerk:
davon.»
    «Es geht nicht darum, was möglich ist oder nicht», sagte die Belegärztin. «Es ist absolut unabdingbar. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen möchten, ich muss mich um meine anderen Patienten kümmern», sagte sie und eilte davon.
    Sully hatte den Kopf zwischen die Beine gelegt und atmete tief durch. Schweißflecken entfalteten sich auf beiden Seiten seines Hemdrückens wie große Flügel. «Es ist okay, Sully», sagte ich. «Wenn du wegmusst, halte ich die Stellung.»
    «Nein», sagte er, wischte sich über das Gesicht und zeigte ein zittriges Lächeln. «Du bist nicht die Einzige, die sie gern hat, weißt du.»
    «Ich weiß», sagte ich und drückte seine Hand, und trotzdem war da plötzlich etwas zwischen uns, dort auf dem Flur des Krankenhauses, wie ein dunkler, harter Knoten, den ich mir nicht erklären konnte.
    Als Clarissa am Nachmittag aufwachte, wieder bei Sinnen und zornig (
Wo zum Teufel bin ich?,
grollte sie), war ich diejenige, die ihr das mit der Krankheit sagte. Sully war nach Hause gefahren, um für ihren Aufenthalt im Krankenhaus ein paar Sachen zu holen, und in der Zwischenzeithatte ich einen Medizinstudenten bezirzt, mir seinen Laptop für ein paar Recherchen auszuleihen.
    So konnte ich Clarissa sagen, dass viele Leute jahrelang glücklich und zufrieden mit Lupus leben konnten und dass der Name der Erkrankung von der Hautveränderung in ihrem Gesicht komme;
lupus
bedeutet «Wolf» auf Lateinisch, und die Art und Weise, wie sich die Röte über das Gesicht erstreckte, habe die Ärzte in alter Zeit an die Schnauze eines Wolfes erinnert. Außerdem, erzählte ich ihr, gebe es auch ein Sternbild dieses Namens und einen Fisch, den Steinbeißer oder Seewolf. Die erste Erwähnung der Krankheit finde sich im
Oxford English Dictionary
und stamme etwa aus dem Jahre 1400 aus
Lanfrancs Chirurgia,
was auch immer das sei, und ich zitierte in meinem schlechten Chaucer-Akzent:
Summen clepen it cancrum, & summen lupum.
    «Aber
cancrum,
Krebs, ist es definitiv nicht», sagte ich. «Und den Lupus können wir bekämpfen.»
    «Oh, dann ist es also eine
gutartige
lebensbedrohliche Erkrankung», sagte sie mit grimmiger Miene. Sie sah ganz verloren aus in ihren Bettlaken, die Locken wild um das Gesicht verteilt. «Hurra, es ist nur Lupus!»
    Ich sagte ihr, wie es sich wahrscheinlich anfühlen würde, schilderte ihr die Gelenkschmerzen, die Erschöpfung, den Verlauf möglicher Behandlungen. Ich erzählte ihr, welche berühmten Persönlichkeiten unter der Krankheit gelitten hätten: Flannery O’Connor (
Eine gute Krankheit ist also
nicht
schwer zu finden,
witzelte Clarissa, und ihr Gesicht leuchtete auf) und vielleicht sogar Jack London (
Mensch, das ist eine Ironie des Schicksals
, sagte sie.
Wölfe
). Ich sagte ihr, es sei eine ererbte Krankheit, und fragte sie, ob in der Geschichte ihrer Familie jemand unerwartet verstorben sei.
    «Außer meinen Eltern, die vielleicht-aber-vielleicht-auch-nicht in einen norwegischen Fjord gefallen sind? Nein», hatte sie gesagt. Und dann: «Doch. Meine Nana ist einfach so gestorben, als sie vierzig war.»Ich schaute zu Clarissa, die sich müde die Augen rieb. «Sie hatte auch so rote Streifen im Gesicht», flüsterte sie. «Und Arthritis.»
    Jetzt sagte ich ihr, mit gewissem Erschaudern, dass sie nicht mehr arbeiten dürfe, bis sie wieder gesund sei. Es war ein Zeichen für das Ausmaß ihrer Erkrankung, dass sie mir nicht widersprach. Sie ließ einfach nur den Kopf ins Kissen sinken und schloss die Augen, und da ich annahm, sie sei eingeschlafen, ging ich weg.
    Sie blieb einen Monat lang im Krankenhaus, bis die Infektion ihre Nieren und das Gehirn verlassen hatte und die Rippenfellentzündung abebbte. Ich stellte überall in ihrer Wohnung Vasen mit lila Lupinen auf – ein makabrer Scherz –, und sie lachte mit Tränen in den Augen, als sie die Blumen sah. An dem Tag, als sie nach Hause kam, blieb ich bei ihr, und schaute so lange Filme mit ihr, bis sie irgendwann sagte, sie wisse, das Seminar, das ich gab, beginne in etwa einer Stunde, und wenn ich mich beeilte, würde ich es bis Stanford schaffen und hätte sogar noch Zeit, Fotokopien anzufertigen. Sie selber wolle eigentlich nur schlafen, und in ein paar Stunden würde sowieso Sully kommen.
    «Nein», erwiderte ich. «Ich bleibe hier.»
    «Okay», sagte sie, funkelte mich mit einem Auge an und begann in so schneller Abfolge einen Kalauer nach dem anderen vom Stapel zu lassen, dass mir nichts anderes übrig blieb, als

Weitere Kostenlose Bücher