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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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wieder gegen die Fensterscheibe flogen. Und ich sah den dunklen und kühl daliegenden See draußen.
    Er wandte sich mir zu und hob eine Augenbraue. «Normalerweise wasche ich sie einfach ab», sagte er. «Mit Seewasser funktioniert das blendend.»
    Ich schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an und hob meinerseits eine Augenbraue.
    Er zuckte mit den Achseln, ich zuckte zurück.
    Dann nickte er und trat zurück ins Magazin, wo die alte Frau ihn nicht sehen konnte. Er ging zum Hintereingang, und innerhalb von zehn Sekunden sah ich durch das Fenster, wie er hinaustrat und auf demlangen grünen Rasenstück, das sich bis zum See erstreckte, zu einem Sprint ansetzte. Das alles sah so unpassend aus – seine Hühnerbeine, die Art und Weise, wie er fast über die eigenen Füße stolperte –, dass ich lachen musste. Dann lief ich selber aus der Tür, schleuderte meine Schuhe von mir und gab so viel Gas, wie ich konnte, sodass ich Peter schon im nächsten Moment überholt hatte und meine Füße bereits im flachen Wasser abkühlen konnte, während er noch keuchend den Hügel herunterkam. Er hatte bereits seine Frackschleife aufgebunden und zog seine Schuhe aus. Dann entkleidete er sich bis auf eine schwarze Stretchbadehose, lief mit unbeholfenen Schritten zum Wasser, machte einen Satz und schwamm ein wenig hinaus.
    «Peter», rief ich, «wieso zum Henker hast du eine Badehose unter deinen Klamotten?»
    «Ich schwimme jeden Tag in der Mittagspause», rief er und spuckte Wasser in meine Richtung. «Bis das erste Eis kommt, dann wird es mir zu kalt. Es ist das Einzige, was meinen Job einigermaßen erträglich macht.»
    «Aha», sagte ich und betrachtete bedauernd das Wasser. «Na ja, ich hab keinen Badeanzug dabei.»
    Er schwamm näher und sagte: «Hast du einen BH an? Und Unterwäsche?»
    «Ja», sagte ich. «Klar. Aber die sind weiß. Unglücklicherweise.»
    «Na und?»
    «Weiß ist durchsichtig, wenn es nass wird», sagte ich.
    Peter Lieder tauchte unter, und als er wieder nach oben kam, grinste er. Er drückte ein paar Wassertropfen aus seinem Raupenschnurrbart, und dann sagte er, zu meiner grenzenlosen Überraschung: «Na, Willie, dann sieht es so aus, als wäre heute mein Glückstag.»
    Der See fühlte sich auf meiner Haut kühl und einladend an, und der Himmel schien sich besonders weit über uns zu öffnen, als wollte er uns dazu auffordern, nach bösen Omen Ausschau zu halten, die irgendwoin den Hügeln lauerten. Während wir nach dem Schwimmen auf dem langen grünen Rasen zurück zur Bibliothek gingen, Peter Lieder Wasser aus seinem Ohr schüttelte und ich meine Bluse von der Brust weghielt, damit sich meine nasse Unterwäsche nicht auf dem Stoff abzeichnete, sagte ich trotzdem: «Das war seltsam, findest du nicht, Peter? Ich meine den See. Noch nie in meinem ganzen Leben wollte ich so schnell wieder raus. Vielleicht liegt es nur an mir.»
    «Es ist eine Tatsache», sagte Peter. «Und es liegt überhaupt nicht an dir. In jedem anderen Jahr im August hätten wir so viele Leute auf Wasserskiern da draußen auf dem Wasser, dass sie sich gegenseitig beinahe umnieten würden. Die einen verheddern sich mit der Zugleine, andere stoßen zusammen, und so weiter. Dieses Jahr nicht. Da ist niemand draußen. Irgendwie ist da was unheimlich am See, zumindest seit Flimmy gestorben ist.» Er gab einen leisen Seufzer von sich und sagte dann, etwas abrupt: «Nicht, dass wir wüssten, dass Flimmy ein böses Monster war oder so, und ich kann mich auch nicht erinnern, dass jemals einer aus dem Wasser gestiegen ist und Bissspuren hatte, weißt du. Aber möglich wäre es gewesen. Nach allem, was wir wissen, hätte er Babys fressen können. Und all die Male, wo wir da draußen geschwommen sind, war er da, hat sich unsere kleinen, dünnen Beine von unten angeschaut, und das Wasser ist ihm im Munde zusammengelaufen. Deshalb kann auch der See noch so hübsch und schlicht und fast leer aussehen, jetzt, wo Flimmy weg ist – irgendeine Bedrohung ist immer noch da, finde ich, irgendwas lauert da immer noch. Es ist sehr, sehr gruselig.»
    Ich blieb stehen, fühlte mich auf einmal ganz schlecht.
    «Peter», sagte ich. «Das ist schrecklich. Die Welt geht schneller in die Brüche, als wir es merken, und ausgerechnet der eine Ort auf der Welt, wo eigentlich noch alles heil sein sollte, der geht auch irgendwie vor die Hunde. Ich komme heim nach Templeton, weil es der einzige Ort auf der Welt ist, der sich nie verändert, und ich meine, sich

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