Die Monster von Templeton
wirklich
nie, nie
verändert, und hier ist da plötzlich dieser halb tote See. Ichdachte immer, Mensch, auch wenn die Polkappen schmelzen und alle Städte der Welt verschluckt werden – Templeton wird verschont bleiben. Wir werden es schaffen. Wir bauen Gemüse an. Wir igeln uns ein, sitzen es aus, was auch immer. Aber das scheint irgendwie nicht mehr zu stimmen. Oder doch?»
Mir war nach Weinen zumute; ich spürte selbst, dass ich übertrieb, aber trotzdem war da ein Gefühl in mir, als wären alle Schatten der Welt plötzlich über Templeton gefallen. Peter legte mir die Hand auf die Schulter und brachte mich dazu, mich zu ihm umzudrehen. «Das ist doch total psychotisch, Willie», sagte er bewundernd. Ich schaute zu ihm auf und sah, dass ein breites Lächeln auf seinem Gesicht lag. Der Schnurrbart war in der Mitte auseinandergebrochen wie ein Zweig. «Du machst nur Spaß, oder?»
«Na ja», sagte ich. «Eigentlich nicht.»
«Ha», sagte er, und es war weniger ein Lachen als eine phonetische Wiedergabe des Wortes. Wir waren mittlerweile wieder beim Hintereingang angelangt und standen bei der Tür, in deren Glas sich der See, nur ganz schwach, widerspiegelte. «Du bist eine Romantikerin, weißt du. Das hätte ich nie gedacht, dass du einmal eine werden würdest. Hab dich immer irgendwie für hartgesotten gehalten. Hör zu, alles verändert sich, Willie, ob wir es wollen oder nicht. Schau mal.» Er deutete vage über den See hinweg auf die Hügel, auf denen dicht an dicht Kiefern standen. «Siehst du den Hügel da? Bevor die Gegend besiedelt wurde, war das alles dort ein riesiges altes Waldgebiet. Ahorn, Eschen, Eichen. Kiefern hingegen – kaum der Rede wert. Ein Jahrhundert später dann stand überall Hopfen, kein einziger Baum mehr. Ich meine, an einem bestimmten Punkt», sagte er errötend, weil er sich für das Thema richtig erwärmte, «gab es im Nordosten Wandertauben, diese wunderschönen, sanften rotschwarzen Vögel, die millionenfach in Schwärmen unterwegs sind, alle auf einmal. Innerhalb von wenigen Jahren waren auch die komplett ausgerottet. Jetzt sind die einzigen Tauben, die man sieht, die hier», und er zeigte aufeinen gesprenkelten Vogel, der an einem zerdrückten Styroporbecher im Gras pickte. «Verstehst du, was ich meine?», fragte er.
«Ich weiß, was du sagen willst, Peter …», sagte ich und wollte weiter ausholen, als er mich unterbrach.
«Willie, ich sage ja nur, dass es überhaupt nichts bringt, sich über alles Sorgen zu machen. Das Einzige, was wir tun können, ist, dass wir bei unseren kleinen Dingen bleiben, uns bemühen, uns anständig zu verhalten, und dass wir wissen, wenn morgen alles zu Ende ist, dann waren wir wenigstens glücklich.»
«So eine Oberkacke», sagte ich. «Das ist nicht nur ein Klischee – du bist auch noch ein Lotus essender Hedonist.»
«Wenn das nicht redundant wäre, würde es vielleicht sogar stimmen», sagte er. «Hör mal, vielleicht klingt das ja anmaßend, aber ich finde, du solltest einfach nicht aufgeben, dein Leben zu leben, Willie. Ich hab immer noch Hoffnung für dich. Sag mir eins: Was würde dich in genau diesem Moment überglücklich machen, wenn du es haben könntest, auch wenn du sterben müsstest, während du es genießt?»
Als Allererstes kam mir Primus Dwyer in den Sinn, wie er beim sanften roten Licht in unserem Zelt in der Tundra lächelnd auf mich herabblickte, während draußen die Schwalben schrien und schrien. Das Zweite waren Worte, die mich schockierten, noch während sie pulsierend in meinen Kopf wanderten:
Das Klümpchen,
dachte ich und verscheuchte den Gedanken wieder. Erst das Dritte, was in mir aufstieg wie eine Luftblase, sprach ich auch aus: «Ein eiskalter Martini, richtig steif gemixt, mit einem ausgezeichneten Wodka», sagte ich verträumt.
Peter Lieders Augen blitzten auf, und er zuckte mit den knochigen Schultern. «Daran habe ich zwar nicht gedacht», sagte er, «aber das ist definitiv das Zweitbeste. Ich führe dich heute Abend aus, Willie Upton, und ein Nein kommt nicht infrage. In den Kühnen Dragoner. Zehn Uhr. Wir sehen uns dann dort.»
Bevor er seinen Satz beenden konnte, flog die Tür auf, deren Klinke er in der Hand hielt, und die winzige alte Frau stand auf der Schwelle. Die wolkenartigen Auswüchse an ihrem Kinn bebten noch von ihrem abrupten Aufstehen.
«Du da», sagte sie und schüttelte den ausgestreckten Zeigefinger in Richtung Peter Lieder. «Du bewegst jetzt ganz schnell deinen knochigen Hintern
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