Die Monster von Templeton
einer Firma arbeitete, die er hasste, wie er dann im Dunkeln mit dem Bus nach Hause kam und wusste, dass Clarissa immer noch da war, immer noch krank, und seine Geduld brauchte. Dass sie ihn brauchte, damit er ihr das zu essen machte, was sie überhaupt noch essen konnte, damit er mit ihr klarkam, wenn sie quengelig und knatschig war von der vielen erzwungenen Ruhe, wo sie doch in ihrem ganzen gemeinsamen Leben nie quengelig und knatschig gewesen war. Ich sah ihn vor mir, wie er im Aufzug zu ihrer Wohnung stand, die Augen geschlossen, das spärliche Haar schief und vom Regen an den Kopf geklatscht. Der einzige Moment Frieden, den er am Tag hatte. Und dann musste er in den Gang hinaustreten, vor dem Apartment stehen bleiben, die Tür öffnen, dabei wünschte er sich nichts so sehr wie ein Glas Wein und einen Menschen, der ihm ein bisschen Freundlichkeit entgegenbrachte.
«Soll ich ein Flugzeug nehmen?», fragte ich.
«Wie bitte?»
«Ich fahre jetzt gleich nach Albany. Ich nehme das erste Flugzeug, das ich kriegen kann. Morgen früh bin ich da.»
Sully hielt inne, und ich hörte sein Atmen im Hörer. Schließlich räusperte er sich. «Weißt du», sagte er. «Morgen bräuchte ich dich nicht gleich, aber so bald wie möglich. Willie, es würde mir so viel bedeuten, wenn du Clarissa gleich morgen früh anrufen und hören könntest,was sie sagt. Ich meine, natürlich bin ich total erleichtert, dass du kommen willst. Vielen Dank.» Er dachte noch einmal nach und sagte dann: «Hör mal. Wenn du ein bisschen auf sie einredest und sie dazu kriegst, dass sie zu ihren richtigen Ärzten geht, dass sie ihre Psychotherapie und die Antikörpertherapie macht, meinetwegen zusätzlich zu dem homöopathischen Scheiß, den sie einnehmen will, dann kann ich es schon noch eine Weile aushalten. Aber kannst du bitte, bitte, bitte zurückkommen, sobald ich dich wirklich brauche? Und wenn du kannst, versuch jeden Tag anzurufen. Du hat keine Vorstellung, wie einsam es hier ist. Aus der Art, wie ihre Freunde sich verhalten, könnte man schließen, dass Lupus ansteckend ist. Die Leute von der Zeitung – alle weg. Ab und zu kommt mal einer mit Blumen vorbei, aber es sind immer Lilien, und Clarissa sagt, Lilien sind für Leichen, und schmeißt sie aus dem Fenster. Das alles würde sie dir nie erzählen, weil sie weiß, dass du deine eigenen Probleme hast, Willie. Aber ich glaube, Clarissa ist wirklich traurig.»
Ich lauschte einen Moment lang auf den Wind durch den Hörer, die nächtlichen Geräusche von San Francisco, den nie abreißenden Verkehr, die Martinshörner in der Ferne, das leise Dröhnen eines Flugzeugs darüber. Langsam fühlte ich mich wie vor meiner Abreise nach Alaska, als ich gedacht hatte, jeder Schritt, den ich machte, sei genau einen Tick zu viel für diese zerbrechliche, von Fehlern geplagte Stadt. In jenen Monaten hatte ich manchmal die Augen schließen und gegen den in mir aufsteigenden Drang ankämpfen müssen, von da abzuhauen, sonst würde ich diese ganze schöne Stadt zusammenbrechen sehen, zertrümmert von den Fingerknöcheln eines großen und wütenden Gottes. Sully machte ein Geräusch und rief mir damit ins Gedächtnis, dass er immer noch dran war.
«Ach, Sully», sagte ich. «Es ist bestimmt unglaublich hart für dich, oder?»
Es trat wieder eine lange Pause ein, und ich hörte, wie Sullys Atmen sich verlangsamte. «Das hab ich gebraucht», sagte er irgendwann.«Einfach das Gefühl zu haben … ach, ich weiß nicht. Verstanden zu werden.»
«Wir werden das Kind schon schaukeln, mit diesem blöden Lupus», sagte ich. «Wart’s nur ab.»
Er lachte und sagte: «Das hab ich auch gebraucht. Ein bisschen Angriffslust. Gut, dass du wieder an Bord bist, Willie.»
«Ist gut, wieder zurück zu sein, Sully», sagte ich. «Morgen rufe ich Clarissa an.» Und dann klickte es im Telefon. Der Geist, der die ganze Zeit in meinem Augenwinkel vor sich hin pulsiert und meinem Gespräch gelauscht hatte, schwand langsam dahin, bis er nicht mehr da war, und vor meinem Fenster sah ich den seifigen, blauschwarzen Nebel, der sich verstohlen über den See legte und langsam den Rasen hochkroch.
Die Laufkumpels (Big Tom, Little Thom, Johann, Sol, Doug, Frankie) melden sich wieder zu Wort
Wir sind durch die tieforangeroten Tage des Juli gelaufen, durch Sommermorgen, so weich wie Mäusepelz, durch Sprühregen, durch drückende Hitze, durch den Duft aufblühender Gardenien, unter den Glyzinien hindurch, die sich an der überdachten
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