Die Monster von Templeton
abends, verdammt noch mal. Versuch doch auch mal an andere Leute zu denken und nicht bloß an dich selbst», und hängte auf.
Ich starrte den Hörer an, zitternd, und legte ihn langsam auf die Gabel. Fast im selben Moment läutete das Telefon. Ich nahm ab, diesmal war es Clarissa, und ich brauchte ein paar Momente, bis ich verstand, was sie sagte. Ihre Stimme klang grimmig. «… besten, du achtest gar nicht auf ihn», sagte sie gerade. «Er hat momentan unheimlich viel Stress. Ich fühle mich nicht so gut, Willie, deshalb kann ich nicht lange reden, aber ich wollte nicht, dass du böse bist.»
«Wie auch immer», sagte ich. «Er ist ein Arsch.»
Jetzt änderte sich Clarissas Ton, und sie sagte leichthin, als würde sie lächeln: «Bist du betrunken, Willie? Rufst du mich an, weil du einen in der Krone hast und jemanden zum Quatschen brauchst?» Im Hintergrund konnte ich Sully fluchen hören.
«Na ja», sagte ich. «Tut mir leid. Vermutlich bin ich wirklich eine beschissene Freundin.»
«Nein», sagte sie. «Bloß eine, die den falschen Zeitpunkt erwischt hat. Ich hab schon geschlafen. Wir reden morgen weiter, okay?»
«Ja, okay», sagte ich. «Bist du wieder krank, Clarissa?»
«Wir reden morgen, Liebes. Trink ein bisschen Wasser, und geh ins Bett.»
«Hab dich lieb», sagte ich.
«Schlaf gut», sagte sie und war weg.
Ich hatte bereits meinen Pyjama angezogen, mir die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen, als in meinem Schlafzimmer das Telefon noch einmal klingelte. Plötzlich fühlte ich mich ganz nüchtern und alt und ging dran. «Hallo?», sagte ich zaghaft.
«Willie», zischte Sully. «Jetzt will ich dir mal was sagen. Unser alter Freund Nierenentzündung ist wieder da. Clarissa ist sehr krank. Ichweiß, dass bei dir im Leben alles schiefgelaufen ist, Willie, aber wo warst du? Du bist ihre beste Freundin, aber anstatt hier zu sein und dich um sie zu kümmern, weckst du sie aus dem ersten tiefen Schlaf, den sie seit etwa einer Woche kriegen konnte, mit einem Anruf im Suff, den ganzen Sommer bist du weggewesen und bringst sie zum Ausflippen, und das Letzte, was Clarissa gerade brauchen kann, ist auszuflippen. Sie hat schon genug an der Backe. Ich weiß, dass du gerade so ’ne Art existenzielle Krise durchläufst und so und dass bei dir allgemein großes Kuddelmuddel herrscht, und es tut mir wirklich, wirklich leid, das zu hören, Willie, aber bei Gott, könntest du mal versuchen, nicht so egoistisch zu sein? Und wenn du dich erinnerst, hast du mir damals im Krankenhaus gesagt, du würdest mir helfen. Das hast du gesagt. Und jetzt, wo ich deine Hilfe brauchen könnte, lässt du uns im Stich.»
«O Gott, Sully», sagte ich. «Wo bist du?»
Er machte eine Pause und sagte dann: «Auf dem Balkon. Clarissa ist wieder eingeschlafen. Ich hab sie noch ein paar Pillen nehmen lassen. Das alles ist der helle Wahnsinn, Willie. Wo hat man je von einer dreißigjährigen Frau gehört, die an Lupus gestorben ist? Mir ist nicht einmal ganz klar, was Lupus eigentlich ist. Und warum bloß hat die Krankheit einfach beschlossen, dass Clarissa eine gute Kandidatin dafür ist? Das ist alles so verdammt verwirrend.»
«Ich weiß», sagte ich. Ich stellte mir Sully vor, wie er da draußen in der kalten Sommernacht von San Francisco stand, den Coit Tower wie einen hell erleuchteten Phallus neben sich, das schütter werdende Haar im Wind flatternd. «Sullivan, du kannst mir glauben, dass es mir entsetzlich leid tut, einfach so abgehauen zu sein.» Dann hörte ich wieder, was er gesagt hatte, und fügte hinzu: «Moment mal. Wer hat da was von Sterben gesagt? Sie liegt doch nicht im Sterben, oder?»
«Na ja», sagte er, «das passiert eben, wenn die Infektion sich auf die Organe ausbreitet.»
«Oh, Scheiße», hauchte ich.
«Ja», erwiderte er. «Glücklicherweise ist noch nichts passiert, das irreversibel wäre, aber wenn sie sich weiterhin gegen die Therapie wehrt, dann wird es das. Sie geht die ganze Zeit zu so einer chinesischen Quacksalberin, die ihr irgendwelche Kräuter gibt. Hör mal, wenn du morgen mit ihr sprichst, könntest du dieses Mädchen bitte, bitte zur Vernunft bringen? Sie will einfach nicht auf mich hören. Ich kann nichts machen. Ich kann einfach nichts machen.» Sullys Atem kam jetzt ganz abgehackt, und ich fragte mich, ob er weinte.
Erst in diesem Moment sah ich Sullys letzten Monat vor mir, wie er schon morgens, beim Aufwachen mit Clarissas Krankheit konfrontiert war, dann fünfzehn Stunden in
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