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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
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wandte den Kopf ab.
    «Dem Klümpchen, meinst du?»
    «Ja», erwiderte sie.
    «Ich weiß», sagte ich. «Ich weiß nicht.» Ich überlegte mir, ob ich ihr sagen sollte, dass es keinen Sinn hatte; dass ich noch nicht bereit war, Mutter zu werden; dass ich das Klümpchen einfach vergessen und mich um alles andere kümmern musste. Dann jedoch fiel mein Blick auf das Kreuz, das sie an einem so langen Riemen trug, dass es meineBettdecke streifte, und ein kleines Teufelchen in meinem Inneren stupste mich an und brachte mich dazu, boshaft hinzuzufügen: «Wie war denn deine kleine Übernachtungsparty gestern Abend, Vi? Hattest du viel Spaß?»
    Meine Mutter zog eine Augenbraue hoch und setzte eine entschlossene kleine Miene auf. «Großartig», sagte sie trocken. «Nicht so lustig wie deine, da bin ich mir sicher.»
    Ich dachte an Felcher und zuckte zusammen. «Meine war überhaupt nicht lustig.» Dann fiel mir wieder Clarissa ein, mein halb nüchternes Gespräch mit Sully, und ich sagte: «Vi, ich muss mit dir reden. Ich hab Clarissa zurückgerufen.» Das Gesicht meiner Mutter leuchtete auf, das Fleisch rund um ihre Augen hob sich, als sie lächelte, und sie sah wesentlich jünger aus als sonst; in diesem Moment sah sie so alt aus, wie sie war – sechsundvierzig.
    «Wie geht es ihr?», sagte sie mit ihrer sanftesten Stimme. «Meine kleine Clarissa.»
    Während ich mir noch meine Antwort zurechtlegte, kam ein Pulk Touristen auf der Straße vorbei, und sie waren so laut, dass ich ihre Stimmen bis in mein Zimmer hören konnte, das auf der Rückseite des Hauses lag. Es waren mindestens vier Männer, die offenbar in einen Disput verwickelt waren; wenigstens ein Kind weinte; und ich glaubte, das leise Plätschern von zwei Frauenstimmen zu hören, die an irgendetwas herumnörgelten. Alle zufriedenen Touristen sind im August verschwunden; im August gibt es nur Leute, die sauer sind, frustriert, verschwitzt und einfach hoffnungslos. August ist der Monat der Boston-Fans. Ich wartete, bis die Gruppe vorbeigezogen war, und sagte: «Sie hat mit ihrer Antikörpertherapie aufgehört, Vi. Ich hab dir doch davon erzählt.»
    Das Lächeln war aus dem Gesicht meiner Mutter wie weggewischt. «Wie bitte?», sagte sie.
    Ich setzte mich im Bett auf. «Clarissa macht jetzt auf Homöopathie, und mittlerweile geht es ihr wesentlich schlechter.»
    Meine Mutter runzelte die Stirn. Nach einer Weile sagte sie: «Was denkt sich denn dieses Mädchen eigentlich?»
    «Ich weiß nicht», erwiderte ich. «Nicht viel, glaube ich. Sully hat mich gebeten, bald nach San Francisco zu kommen, damit ich ihm helfen kann, mich um sie zu kümmern. Ich glaube, er ist dermaßen überfordert, dass er bald zusammenbrechen wird. Ist ziemlich beängstigend.»
    «Worauf wartest du dann noch?», sagte sie und zog mir die Bettdecke weg. «Mach dich auf die Socken.»
    «Ich weiß», erwiderte ich. «Aber es gibt ein Problem. Heute Morgen habe ich Clarissa angerufen, und sie war dagegen, dass ich komme. Sie war wütend. Sie sagte, ich würde für sie bloß eine Belastung sein und sonst gar nichts, und ich solle lieber hierbleiben, damit du dich um mich kümmerst. Und dass ich genauso dick in der Tinte sitze wie sie.»
    Meine Mutter schaute mich an und fuhr sich mit der Hand über ihr verhärmtes Gesicht. In dem Licht vom Fenster her sah ihre Haut fleckig, fast pockennarbig aus, und unter den Wangen war sie schlaff, wie mit Bohnen beschwert. »Ach, Sunshine», sagte sie langsam. «Du solltest wirklich bei ihr sein, und doch denke ich auch, dass sie nicht unrecht hat. Vielleicht solltest du ja nicht gleich fahren, ich glaube, du bist gesundheitlich nicht auf der Höhe. Außerdem, wenn du jetzt weggehen würdest, ohne zu wissen, wer dein Vater ist, nur mit der Gewissheit, dass er von hier stammt, dann würde dir dein Gehirn mal wieder allerhand Streiche spielen. Du würdest immer schlechter von Templeton denken und am Ende glauben, dass jeder einzelne Mann, den du kennenlernst, dein Vater sein könnte. Du würdest anfangen, diese Stadt zu hassen. Wir hätten dich endgültig vergrault. Und das wollen wir doch nicht, oder?»
    «Ich weiß», sagte ich. «Und ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals zurückkehren würde.»
    Meine Mutter streifte sich die Hausschuhe von den Füßen und stiegins Bett. Sie kroch neben mir am Kopfende unter die Decke und nahm meine Hand. «Ich könnte nicht leben, wenn du nie mehr zurückkommst», sagte sie. «Das hier ist deine Stadt, Willie. Und ich

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