Die Monster von Templeton
Clarissa nun ausatmete, war es ein langes, langsames Zischen. «Wilhelmina Upton», sagte sie. «Ich hab dich sehr gern. Du bist meine beste Freundin. Aber, verdammt noch mal, wenn du darauf bestehst, in dem Zustand, in dem du dich momentan befindest, zurück nach San Francisco zu kommen, dann werde ich mich dazu gezwungen sehen, Vi etwas zu erzählen, von dem du wahrscheinlich nicht willst, dass sie es erfährt. Wenn du weißt, was ich meine. Miss
Audiodidact.»
Als sie das sagte, begehrte mein Magen noch mehr auf als zuvor, mein Kopf dröhnte, und meine Zunge fühlte sich widerlich pelzig an. «Das würdest du nicht tun», sagte ich.
«O doch», sagte Clarissa grimmig.
«Das würdest du nicht», sagte ich noch einmal, aber ich wusste, sie würde ihre Drohung wahr machen. Das Einzige, was ich Vi niemals sagen konnte, war nämlich etwas, von dem nur Clarissa wusste.Während meines Studiums am College hatte ich, um an einer Exkursion teilnehmen zu können, die von meinem Stipendium nicht gedeckt wurde, und wegen einer schnell wachsenden Kreditkartenverschuldung durch meine Nähe zur verschwenderischen Clarissa ein kleines Nebengeschäft mit dem Namen «Audiodidact» ins Leben gerufen, das sich der «Transkription von Seminararbeiten» widmete. Der Deal bestand darin, dass studentische Faulpelze, die genügend Geld hatten, um es sich leisten zu können, mir eine Audiokassette lieferten, auf der sie hemmungslos drauflosplapperten, vorgeblich über die Themen ihrer geplanten Seminararbeiten, und ich dieses Gebrabbel dann «transkribierte», indem ich die eigentlichen Recherchen für sie anstellte und die Arbeit praktisch für sie verfasste. Nur ein einziges Mal hatte ich damals auf die Arbeit eines Lacrossespielers im ersten Studien jahr nur eine mittelmäßige Note bekommen – damals war ich an Pfeifferschem Drüsenfieber erkrankt – und das Geld zurückzahlen müssen. Mein kleines Geschäft war ein dermaßen durchschlagender Erfolg gewesen, dass jedes der Schreibzentren an den fünf Colleges der Umgebung so selbstverständlich für mich Werbung machte, als handelte es sich um etwas völlig Legales, und ich bin mir sicher, das dachten sie auch wirklich. Vi jedoch hätte es nie im Leben geglaubt. Wäre sie mir damals auf die Schliche gekommen, hätte das eine der bittersten Enttäuschungen ihres Lebens bedeutet.
Vielleicht bin ich nicht in der Lage, dir Geld zu geben, Sunshine,
sagte sie immer,
aber ich kann dir meinen Verstand geben und meine Vorstellungen von Moral.
Mit meinem kleinen Geschäft trieb ich Schindluder mit beidem, und ich wusste, das hätte sie mir nie verziehen. Sie hätte mich nie mehr mit denselben Augen angeschaut wie vorher. Es hätte uns beiden das Herz gebrochen.
«Clarissa», sagte ich jetzt. «Das ist aber gar nicht nett von dir. Du erpresst mich?»
«Genau», sagte sie. «Ich kann es einfach nicht, Willie. Du hast Vi, damit sie dir hilft. Ich hab Sully. Ich ruf dich später noch mal an.Meine Soap fängt gerade an», und damit knallte sie den Hörer auf die Gabel.
Ja, mir ging es nicht gut; und es machte mich krank, dass ich nicht zu Clarissa konnte. Doch da war auch noch ein anderes Gefühl in mir, das wuchs – etwas Leichtes, Lichtes; vielleicht (ein kleines bisschen) auch Erleichterung. Ich schlief wieder ein, und als ich um vier Uhr nachmittags aufwachte, wusste ich, dass Vi frei hatte, weil sie staubsaugte und die ganze Zeit mit dem Staubsauger gegen meine Tür rumste. Die Vögel draußen schienen den Lärm mit ihrem Gesang übertönen zu wollen, und als ich aufwachte, herrschte um mich herum ein ohrenbetäubendes rumpelndes Dröhnen, untermalt mit schrillem Vogelgezwitscher – ein so grauenhaftes Geräusch, dass es mir erneut beinahe den Magen umdrehte. Als Vi den Staubsauger ausschaltete, um woanders weiterzusaugen, hörte ich, wie sie vor sich hinkicherte.
«Was denn?», rief ich. «Du hältst dich wohl für besonders schlau.»
Meine Tür ging auf, und meine Mutter streckte den Kopf herein. «Ja», sagte sie. Und dann sah sie mich, so klein und blass in meinem Himmelbett unter einem Haufen Kissen, und sagte: «Ojemine, du siehst ja furchtbar aus.»
«Danke», sagte ich. Vi kam zu meinem Bett herüber und setzte sich neben mich.
«Bist du krank?», fing sie an, aber dann musste sie den Restalkohol gerochen haben, der aus meinen Poren strömte, denn sie erstarrte und wurde ernst. «Oh, Willie», sagte sie. «Du hast getrunken? Was ist denn mit … na, du weißt schon.» Sie
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