Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Groff
Vom Netzwerk:
Weichei war, und dafür, wie hasserfüllt mich seine Mutter anschaute. Der Manager, normalerweise ein freundlicher Mann mit rundem Gesicht, hatte sich von Mrs. Tzara zu einer tiefroten Wut anstacheln lassen, und so fuhr er, als Vi den Raum betrat, aufgebracht zu ihr herum und teilte ihr mit, dass ich für immer Hausverbot hätte, dass dies einfach nicht hinzunehmen sei und dass ein Kind, das so schlecht erzogen sei, überhaupt nichts in der Öffentlichkeit zu suchen habe. Meine Mutter warf einen Blick in die Runde, sah meine blutende Hand (die zu verbinden sich keiner die Mühe gemacht hatte) und den Eisbeutel auf Philips Mund, sah Mrs. Tzara mit ihrem fliegenden schwarzen Haar und dem engen Kostüm, die hervorquellenden Augen des Managers. Und dann sah ich in ebenjenem Büro, wie Vi wuchs und wuchs, bis sie größer erschien als wir alle zusammengenommen.
    Sie sprach so leise und so ruhig, dass wir uns vorbeugen mussten, umsie verstehen zu können. «Blödsinn», sagte sie. «Willie ist der gescheiteste Mensch, den ich kenne. Wenn sie diesen Jungen da geschlagen hat, hatte sie bestimmt guten Grund dazu. Stimmt’s, mein Kleiner?», fragte sie, an Philip gerichtet.
    Woraufhin Philip, dem die Tränen mittlerweile übers Gesicht strömten, einen kleinen zittrigen Seufzer von sich gab und sagte: «Ich hab bloß gesagt, sie ist ein Bastard …»
    Mit diesem einen Wort und mit all dem, was alle in der Stadt bereits über mich wussten, brachte Philip den Ballon der Wut bei den Erwachsenen zum Platzen, und die Luft strömte zischend heraus. Philips Mutter ließ die Schultern hängen und jammerte: «Ach, Philip», und der Manager der Sporthalle schüttelte den Kopf. «Ach», machte er. «Nun, in diesem Fall tut es mir wirklich leid, Mrs. Upton. Das hab ich wirklich nicht gewusst.»
    «Kann ich dann meine Tochter mit nach Hause nehmen und nachschauen, ob sie sich nicht die Hand gebrochen hat?», erwiderte sie kalt.
    «Gewiss, gewiss», sagte er, während Mrs. Tzara Philip hinausdrängte, woraufhin sich der Manager überschwänglich entschuldigte. Natürlich hätte ich kein Hausverbot für die Sporthalle, sagte er, und alles tue ihm schrecklich leid.
    Auf der Autofahrt nach Hause schaute ich meine Mutter nachdenklich an. So viele Nächte hatte sie ihren Kopf in meinen Schoß gelegt, und ich hatte sie getröstet, weil wieder einmal jemand aus der Stadt sie geschnitten und ihr sowieso schon angekratztes Ego erschüttert hatte. Mir war diese starke, riesige Frau, die da unseren Wagen durch die dunkle Stadt kutschierte, fremd. Erst Jahre später wurde mir eines bewusst: So schwach Vi auch angesichts ihres eigenen Kummers sein mochte – wenn es um den anderer ging, würde sie stets weit über sich hinauswachsen. Deshalb gelang es ihr auch immer wieder, Sterbenden den Weg in einen gelasseneren Tod zu zeigen, mit all ihrer Größe, ihrer Sanftheit.
    Draußen im Flur, während Vi sich die Zunge fransig redete, um Clarissa von ihrem selbstmörderischen Handeln abzubringen, schob ich einen Finger unter die Klappe des alten Kuverts. Ich ließ die kleinen Briefbündel mit ihren staubigen Samtbändern in meine Hände fallen und stellte mir Vivienne Upton vor, wie sie so lange ganz Averell Cottage mit ihrer Glorie erfüllte, bis alles mit der Farbe und Beschaffenheit von Honig in der Sonne überstrahlt war. Ich hielt das alte Päckchen mit Briefen in der Hand und stellte mir vor, wie Vi ihre Gutmütigkeit über die gesamte Lake Street ergoss, wie immer mehr davon aus ihr herausströmte, bis schließlich ganz Templeton darin gebadet war.

Cinnamon und Charlotte
    An all diejenigen, die diese Sammlung von Briefen lesen sollten: Seid gewarnt. Dieses Material sollte unter gar keinen Umständen ans Licht der Öffentlichkeit geraten, denn es besteht die Gefahr, zwei der herausragenden Familien Templetons damit in Misskredit zu bringen. Diese Briefe wurden von mir getrennt voneinander entdeckt, in einer Zeitspanne von zwei Jahrzehnten. Charlottes Päckchen Briefe aus der Feder Cinnamons fand ich als junger Knabe in einer kleinen Truhe auf dem Dachboden von Franklin House. Zwanzig Jahre später, als ich auf der Suche nach einem Ersatzglied für eine Kette war, stieß ich in einem alten Schrank der alt eingesessenen Templetoner Familie meiner Frau, der Averells, auf Cinnamons Bündel. Man kann sich meinen Schrecken vorstellen, als ich entdeckte, dass die Briefe zusammengehören. Offensichtlich handelt es sich jedoch nicht um die komplette

Weitere Kostenlose Bücher