Die Monster von Templeton
begrenzte Anzahl von Fenstern, und ich fürchte, bis Januar werde ich sie alle erschöpft haben. Ich könnte das
Freeman’s Journal
lesen, doch dieses ganze Gewäsch über Meerschaumpfeifen und Gebisse aus vulkanisiertem Gummi macht mich wahnsinnig. Vielleicht sollte ich ja für unsere Soldaten Socken und Bandagen stricken, die in den Südstaaten kämpfen und fallen. Was noch? Vielleicht könnte ich ja einen Ehemann für Sie finden, liebe Charlotte – was halten Sie davon?
Sie mit Ihrem frommem Herzen, so stelle ich mir vor, sind gewiss entsetzt darüber, wie für mich das Leben weitergeht. Doch ich kann nicht dagegen an – Charlotte, mir ist schwindlig, und dabei bin ich mir gar nicht ganz sicher, warum. Vielleicht ist es ja der Schock des Verlustes von Mr. Graves. Ich fürchte, ich werde noch verrückt in diesem dunklen Haus. Sie sollten nach Temple Manor auf der Second Street ziehen, denn allein schon Ihre Nähe wäre mir ein Trost.
Wie sehr sehnt sich mein Herz nach ein wenig Spaß – gerade eben sah ich eine fröhliche kleine Gesellschaft die Front Street entlanggehen. Hübsche Mädchen auf dem Weg irgendwohin, wie sie an den Soldaten vorbeischlendern, wie sie die Giebel meines alten Hauses erklingen lassen mit ihrer Fröhlichkeit. Wie sehr erinnert mich das an uns, Charlotte, als wir noch so jung waren. Ich denke daran, wie hübsch und errötet und funkelnd Sie waren auf jenem Fest, bevor der arme Godfrey das Zeitliche segnete, als es ihm bereits schlecht ging, jenes fröhliche Zusammensein bei Lydia Clarke mit veilchengeschmückten Petit Fours und Cembalomusik und jenem neuen, hässlichen alten Französischlehrer an Dr. Spotters Akademie, Le Quoi. Er ähnelte so sehr einem Geier, nicht wahr, mit seinem Kahlkopf und den wachsamen Augen – und wie er nach altem Fleisch stank! Er ist ein Schurke, da bin ich mir vollkommen sicher. Er sagte, er komme aus Nantes, woher auch Henrietta Bezier stammt, meine liebe Freundin, die ich von der Privatschule von Mrs. Beasley kenne. Ich habe ihr bereits geschrieben, um zu erfahren, ob er wirklich das ist, was er vorgibt zu sein. Ich habe den Verdacht, er hat etwas zu verbergen. Wir werden sehen und uns an den dramatischen Entwicklungen weiden.
Cinnamon Averell Stokes Starkweather Sturgis Graves Peck
Fotografie, etwa aus dem Jahre 1860, zwischen ihrer zweiten und dritten Ehe.
Bitte schreiben Sie, Charlotte. Füllen Sie Seite um Seite mit Ihren Worten. Erzählen Sie mir Geschichten, ganz gleich, welche – erzählen Sie mir von jenem schrecklichen Brandstifter, der alle Herrenhäuser in Templeton anzündet. Und lassen Sie uns spekulieren, um wen es sich handelt – den alten Apotheker Mudge mit seinem grässlichen Gesicht? Oder die alte Lacey Pomeroy mit ihrem affektierten kleinen Kichern und ihrem Haar von der Farbe gekochter Walnüsse (keine Widerrede, ich selbst habe das Gebräu gesehen, das sie benutzt, um sie zu färben)? Der schwachsinnige Sohn von Dirk Peck, dieser grobschlächtige große Junge, der sich in Anwesenheit von Damen selbst berührt (ich schockiere Sie schon wieder!)?
Sie werden mir meine Frivolität verzeihen – das ist eine schwierige Zeit für mich, und es scheint die einzige Art und Weise zu sein, damit zurande zu kommen. Sie verstehen mich, auch wenn es sonst niemand tut.
In großer Zuneigung
Ihre Cinnamon Averell Stokes Starkweather Sturgis Graves
***
Aus der Feder von Charlotte Temple, Franklin House, Blackbird Bay, Templeton
Dreiundzwanzigster November 1861
Liebste Cinnamon,
ich muss zugeben, dass ich die letzten Tage mit der Frage zugebracht habe, wie ich auf Ihren Brief vom Zwanzigsten antworten soll. Es sieht Ihnen so gar nicht ähnlich, so grausam mit dem Gedenken an Ihren Ehemann umzugehen. Immerhin habe ich begriffen, dass Ihr Kummer noch sehr frisch ist und dass genau diese Trauer in Ihnen nach Ablenkung ruft. Ich verstehe Sie, meine liebe Freundin, bete jedoch darum, dass Sie Ihren Seelenzustand allein mir offenbaren; es gibt so viele in dieser Stadt, die Ihnen nicht wohlgesinnt sind.
Mit diesem Brief schicke ich Ihnen etwas Musselinstoff, um den Sie mich baten, sowie eine Tinktur von Aristabulus Mudge. Er sagte mir, ein Tropfen pro Tag möge genügen, um Ihnen Ruhe zu schenken. Er ist ein sonderbarer kleiner Kerl. Ich möchte nicht schlecht über einen Krüppel reden, aber wenn ich ihn sehe, überkommt mich ein Schauder. Und haben Sie bemerkt, dass er nie älter wird? Auch mein Vater selig hat dies bemerkt; eines Tages, als
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