Die Moralisten
gesprochen hat. Ich hätte gern gewußt, was er von dir wollte.«
»Mit anderen Worten: du möchtest gern wissen, was ich ihm erzählt habe.«
»So kannst du es auch ausdrücken.«
»Du traust keinem Menschen, nicht wahr?« fragte sie.
»Den Luxus kann ich mir nicht leisten.«
»Zu deiner Beruhigung will ich dir verraten«, sagte sie kühl, »daß ich ihm nichts über uns gesagt habe. Ich habe nur erwähnt, daß ich dich im Krankenhaus getroffen hätte und daß ich mich für deinen Fall interessierte.«
»Das ist gut. Er hat mich heute abend aufgesucht, und ich habe ihm dasselbe erzählt.« »Ist das alles, was du wissen wolltest?« Ihre Stimme hatte einen merkwürdigen Ton.
Ich täuschte Gleichgültigkeit vor. »Das ist alles, Baby«, sagte ich. »Ich werde dir eine Orchidee schicken, weil du deinen Mund halten kannst.«
Sie konnte ich täuschen, aber mich selbst nicht. Ich hätte sie gar nicht anzurufen brauchen. Alles, was ich wissen wollte, hatte ich bereits von Allison erfahren.
»Behalte sie nur«, sagte sie, und ihre Stimme klang wieder kühl. »Du brauchst mich nicht zu bestechen.« Sie legte den Hörer auf.
Ich lächelte ein wenig, als ich den Hörer auf die Gabel legte. Wenn ich diese ganze Angelegenheit ins reine gebracht hatte, dann würde ich mich um sie kümmern.
Und dann würde sie schon vernünftig werden.
Es war ein Tag vor Weihnachten, Dienstag, der 24. Dezember 1940. Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und lauschte auf die Musik, die aus dem unteren Stockwerk heraufklang. Wie in vielen anderen Büros gab es auch bei uns eine WeihnachtsParty. Bald war es Zeit, daß ich da unten in Erscheinung trat. Man erwartete das von mir. Damit wurde einmal im Jahr gewissermaßen der Beweis erbracht, daß ich wirklich existierte und kein Phantasiegebilde war. Den größten Teil des Jahres bekam mich der Durchschnittsangestellte nicht zu sehen, da ich das Büro durch einen Privateingang betrat und verließ. Die Führung der verschiedenen Abteilungen überließ ich den Abteilungsleitern. Ihre Berichte gingen an die paar Geschäftsführer, die mit mir in persönlicher Verbindung standen und die diese Informationen an mich weiterleiteten.
Miss Walsh kam herein. Sie trug ein neues Kleid. Mir fiel auf, daß die Frauen sich bei diesen kleinen Gelegenheiten immer besonders schön machten: Blumen im Haar, neue Kleider, Schönheitsbehandlungen, strahlendes Lächeln.
»Wenn Sie mich nicht mehr brauchen«, sagte sie lächelnd, »dann kann ich wohl jetzt nach unten gehen.«
Ich erwiderte ihr Lächeln. »Sie können gehen, Miss Walsh, es gibt für Sie nichts mehr zu tun.« Ich holte das Geschenk hervor, das ich vor ein paar Tagen für sie gekauft hatte. Gewöhnlich gab ich ihr eine Flasche Parfüm oder eine Schachtel Pralinen, doch in diesem Jahr hatte ich eine kleine Armbanduhr für sie erstanden. Sie hatte sie redlich verdient. Seit Allisons Fortgang hatte sie schwer gearbeitet, und oft war sie bis spät in die Nacht geblieben, um mir zu helfen. »Fröhliche Weihnachten!« sagte ich.
Sie nahm das kleine Päckchen und hielt es in der Hand. Ich
sah ihr an, daß sie es gern geöffnet hätte, daß sie es aber in meiner Gegenwart nicht wagte aus Angst, ich könnte es für unhöflich halten. »Vielen Dank, Mr. Kane«, sagte sie lächelnd, »und auch Ihnen ein fröhliches Weihnachtsfest!« Sie drehte sich um und ging hinaus.
Ich blieb noch eine Weile sitzen und ging dann zu der Party, die in vollem Gang war. Es gab bereits die übliche Zahl von Angeheiterten, und alle befanden sich in verschiedenen Stadien der Weihnachtsfreude. Wie gewöhnlich hörte die Unterhaltung auf, als ich den Raum betrat. Es folgte ein kurzes Schweigen, nur unterbrochen von dem Geflüster, mit dem man neuen Angestellten erzählte, wer ich sei, und dann kam allmählich die Party wieder in Gang. Meistens stand ich eine Weile herum, lächelnd und nickend, sprach höflich mit allen, die mich anredeten, und ging dann leise wieder davon.
Gewöhnlich verließ ich diese Veranstaltungen mit einem Gefühl von innerer Kraft und Macht, aber diesmal empfand ich nur Leere und Niedergeschlagenheit. Ich sah zu, wie die Paare tanzten und miteinander flachsten, und fühlte mich als Außenseiter. Ich bezahlte zwar den ganzen Kram, aber es war ihre Party.
Ich hätte mir eigentlich keine Sorgen zu machen brauchen. Seit der Verhaftung Luigerros und der anderen hatte sich die Lage beruhigt. Die Boys führten sich offenbar anständig auf, und die ganze
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