Die Moralisten
noch ihre Gegenwart spüren. Ich fluchte leise vor mich hin. Wenn eine Frau mich so weit brachte, dann war das ein Zeichen, daß ich weich wurde. Nach Marianne hatte ich keine Frau mehr so nahe an mich herankommen lassen. Und ich wollte es auch jetzt nicht.
Ich stellte das Radio an und hörte eine Weile zu. Dann läutete das Telefon. Es war der Portier. »Ein Mr. Allison möchte Sie sprechen.«
»O. k.«, sagte ich, »schicken Sie ihn herauf.« Vielleicht hatte er seinen Entschluß geändert.
Ein paar Minuten später klopfte es an die Tür, und ich ließ ihn herein. »Guten Abend, Allison«, sagte ich, »was führt Sie her?«
»Es handelt sich um einen offiziellen Besuch, Mr. Kane«, sagte er und trat ins Zimmer.
Ich deutete auf einen Stuhl und bot ihm einen Drink an. Er lehnte ab. Ich schenkte mir ein Glas ein. »Was möchten Sie wissen?« fragte ich ruhig.
Er blickte mich eine Weile forschend an. Dann wählte er seine Worte sehr sorgfältig. »Ich habe etwa acht Monate lang für Sie gearbeitet«, sagte er langsam.
Ich nickte.
Er fuhr in derselben langsamen Art fort. »Ich weiß so gut wie jeder andere, was Ihr Unternehmen ist, aber es gibt da ein paar Fragen, auf die ich gern für mich selbst eine Antwort haben möchte. Vielleicht ist das, was Sie mir sagen, auch Ihnen von Nutzen.«
»Schießen Sie los!« sagte ich. »Wenn ich kann, werde ich sie
beantworten.« Ich trank einen Schluck von meinem Highball und war gespannt auf das, was kam.
Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und schob die Hände übereinander. »Stehen Sie mit den Geldverleihern in New York in irgendeiner Verbindung?«
»Nein«, sagte ich, und das stimmte auch. Die Geldverleiher waren zwar durch unser Unternehmen zur Blüte gekommen, aber ich gab mich nicht mit ihnen ab.
»Die allgemein herrschende Meinung weicht von Ihrer Aussage ab«, bemerkte er.
»Das ist mir bekannt«, sagte ich, »aber ich kann nichts dafür, was die Leute reden. Das Besondere an meinem Unternehmen ist, daß ich niemanden wegen Verleumdung verklagen kann.«
»Und wie ist es mit dem organisierten Laster?« fragte er.
»Wenn Sie darunter Frauen, Rauschgift und dergleichen verstehen, können Sie nicht mit mir rechnen. Ich bin zwar tolerant, aber ich bin kein Zuhälter.«
»Dann interessieren Sie sich also nur für das Glücksspiel?« fuhr er fort.
»In der Hauptsache, ja«, gab ich zu. Er wußte es sowieso. »Vor allen Dingen für die Vermittlung von Rennwetten, aber ich habe auch noch einige andere Interessen.«
Er lehnte sich zurück und dachte einen Augenblick nach. »Ich glaube, jetzt hätte ich ganz gern den Drink, wenn das Angebot noch gilt«, sagte er und lächelte ein wenig.
Ich goß ein Glas ein, ohne eine Bemerkung zu machen. Er hatte mir immer noch nicht gesagt, warum er gekommen war. Wir saßen eine Zeitlang schweigend da und starrten uns an. Dann sah er sich gründlich im Zimmer um, und ich ließ ihn gewähren. Er würde schon wieder anfangen, wenn er soweit war, und ich konnte warten.
»Wie lange kennen Sie Ruth Cabell schon?«
Die Frage überraschte mich. Ich gab eine ausweichende Antwort. »Seit einiger Zeit.«
»Sie scheint viel von Ihnen zu halten«, sagte er.
»Haben Sie mit ihr gesprochen?« fragte ich.
»Gestern. Warum hat sie Sie unter einem anderen Namen besucht?«
»Sie ist Fürsorgerin und hat wohl angenommen, daß ich sie nicht vorlassen würde, wenn sie ihren richtigen Namen nannte. Sie wissen ja, wie diese Frauen sind. Sie wollte mich unbedingt bessern.« Ich lachte ungezwungen.
»Ach so«, sagte er. Er war noch nicht fertig. »Wie haben Sie sie eigentlich kennengelernt?«
Manchmal mußte man etwas riskieren. »Im BellevueKrankenhaus - vor etwa sechs Jahren.« Ich zündete mir eine Zigarette an. »Ich war krank. Ich war auf der Straße ohnmächtig geworden, und man hatte mich ins Krankenhaus geschafft -Unterernährung. Ich war damals lange arbeitslos und hatte nichts Richtiges mehr zu essen gehabt. Ich hatte seit mehreren Monaten nur in Hausfluren, Untergrundbahnhöfen und öffentlichen Toiletten geschlafen, und da hatte sie wahrscheinlich Mitleid mit mir.«
Er nickte. »Das habe ich auch aus ihren Worten entnommen. Sie müssen eine ziemlich schlimme Zeit durchgemacht haben.«
Ich hatte das richtige Empfinden gehabt: sie hatte nichts verraten. »Ja, es war eine schlimme Zeit«, gab ich lächelnd zu.
Er leerte sein Glas, stellte es auf den Tisch und stand auf. »Das war es wohl, was ich fragen
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