Die Moralisten
wollte.«
Ich erhob mich ebenfalls. »Sie brauchen nicht so rasch davonzustürzen. Warum bleiben Sie nicht noch etwas?«
»Ich muß nach New York zurück«, sagte er und ging zur Tür.
Ich begleitete ihn. An der Tür sagte er plötzlich: »Wissen Sie, Mr. Kane, in fast jeder anderen Branche könnten Sie genausogut vorwärtskommen.«
Ich lächelte. »Vielleicht. Aber dieses Unternehmen war eine Chance für mich. Die anderen nicht.«
»Sie könnten es immer noch versuchen.«
Ich wußte, was er meinte. Wenn ich jetzt ausstieg, ehe sie mich fassen konnten, würde wahrscheinlich alles noch gutgehen. »Ich werde die Partie zu Ende spielen«, sagte ich. »Es wäre töricht, wenn ich mit solchen Karten, wie ich sie habe, aufhören würde.«
»Manchmal sind Ihre Karten nicht so gut, wie Sie glauben. Dabei können Sie Ihren letzten Heller verlieren.«
Ich zuckte die Achseln. »Man kann nicht dauernd gewinnen. Das weiß ich auch.«
»O. k.«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Sie müssen es ja wissen.«
Ich schwieg.
»Ich danke Ihnen, daß Sie mich empfangen haben«, sagte er.
Ich mußte lachen. Er war jedenfalls höflich. Das war mehr, als die städtische Polizei zu bieten hatte. Es hatte doch sein Gutes, daß bei der Bundespolizei akademisch gebildete Leute waren.
»Nichts zu danken«, sagte ich. »Schauen Sie mal wieder herein, wenn Sie Lust haben.« Immer noch lächelnd schloß ich die Tür hinter ihm.
Ich zögerte eine Weile. Dann ging ich zum Telefon und rief Ruth an. Eine Männerstimme meldete sich. »Dr. Cabell.«
»Ist Miss Cabell zu Hause?« fragte ich.
»Im Augenblick nicht«, erwiderte Marty. »Kann ich ihr etwas bestellen?«
Ich überlegte eine Sekunde. Dann sagte ich: »Nein, vielen Dank. Ich rufe später wieder an.«
»Einen Augenblick«, warf Marty rasch ein. »Wer spricht da?
Frank?«
Das war die zweite Überraschung dieses Abends. Zum Kuckuck noch mal! Wußte denn die ganze Stadt, daß sie mich besucht hatte? Nach kurzer Überlegung sagte ich mir, daß sie es ihrem Bruder sowieso erzählt haben würde.
»Ja«, sagte ich in den Apparat.
»Frank«, rief er aufgeregt. »Hier ist Marty. Wie geht es dir, alter Junge?«
Ich sprach absichtlich gemessen und kühl. »Ich weiß, wer am Apparat ist.«
Er beachtete den Ton meiner Stimme nicht, sondern fuhr immer noch aufgeregt fort: »Mein Gott, Junge, ich würde dich gern wiedersehen!«
Seine Freude wirkte ansteckend, und ich konnte ihr nicht widerstehen. »Das ist nett von dir, alter Knabe«, sagte ich, »aber im Augenblick wäre das nicht ratsam für dich. Es könnte unangenehme Folgen haben.«
»Meinst du etwa Jerry?« fragte er. »Der kann denken, was er will, zum Teufel noch mal! Schließlich waren wir Freunde.«
»Ich meinte nicht Jerry«, sagte ich. »Ich meine mich.«
»Oh!« Enttäuschung klang aus seiner Stimme. »Können wir uns nicht irgendwo treffen und in Ruhe miteinander reden? Niemand würde etwas davon erfahren. Ruth hat mir erzählt, daß sie dich besucht hat. Das hat auch keine Folgen gehabt.«
Damit hatte er recht, aber anders, als er dachte. »Deswegen wollte ich ja mit Ruth sprechen. Einer von der Bundespolizei war gerade bei mir. Er hat bereits mit Ruth geredet, und ich wollte hören, was sie ihm erzählt hat.«
»Davon weiß ich nichts. Sie hat mir nichts davon gesagt.«
»Vielleicht ist sie noch nicht dazu gekommen«, sagte ich, um sie zu entschuldigen. »Wahrscheinlich hat er erst heute mit ihr gesprochen. Es tut mir leid, Junge, aber ich glaube, wir sollten uns lieber nicht treffen.«
»Ich verstehe«, sagte er ruhig. »Soll ich Ruth ausrichten, daß sie dich anruft, wenn sie nach Hause kommt?«
»Ja, bitte.« Ich gab ihm meine Telefonnummer.
»Ich werde es ihr bestellen. Du kannst dich darauf verlassen.«
»Vielen Dank. Leb wohl.«
»Alles Gute, Junge. Denk an mich, wenn du einen Freund brauchst. Ich bin immer für dich da.«
»Nochmals vielen Dank.« Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl. Ich war es nicht gewöhnt, daß Menschen nett zu mir waren, wenn es sich für sie nicht auszahlte.
»Leb wohl«, sagte er und legte den Hörer auf. Ich setzte mich auf die Couch und vertiefte mich in die Zeitungen. Etwa eine halbe Stunde später läutete das Telefon. Ich nahm den Hörer ab. »Kane am Apparat.«
Es war Ruth. Ihre Stimme klang kühl und abweisend. »Ich habe gehört, daß du mich angerufen hast.«
Meine Stimme war genauso kühl. »Ja«, sagte ich. »Ich habe gehört, daß Allison vom FBI mit dir
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