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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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war zu faul, hinüberzugehen und mich an dem Spaß zu beteiligen. Sie standen im Halbkreis um ihn herum und piesackten ihn.
    »Wie fühlt man sich so als halber Mann?«
    »Christusmörder!«
    »Schlapper Hund!«
    Der Junge stand mit bleichem, aber ruhigem Gesicht starr da. Seine Augen blitzten in stolzem Haß. Die anderen rückten ihm drohend näher. Er ließ sein Buch fallen, preßte den Rücken dichter an die Wand und hob die Fäuste. Er war blond, blauäugig, hager und schien etwas kleiner zu sein als ich. Schließlich sagte er:
    »In einem fairen Kampf kann ich jeden von euch schlagen.« Seine Stimme verriet keine Furcht.
    Sie antworteten mit wieherndem Gelächter und rückten näher an ihn heran.
    Ich sprang auf und überquerte die Straße. Das versprach gut zu werden.
    »He Frankie«, rief einer der Jungen.
    »Hallo, Willie«, erwiderte ich.
    »Wir wollen uns den kleinen Itzig mal vorknöpfen!« schrie ein anderer aus der Bande.
    »Nix«, sagte ich. »Ihr habt gehört, was er gesagt hat. Er könnte jeden von uns schlagen. Das laßt ihr doch wohl nicht auf euch sitzen. Einer von uns muß mit ihm kämpfen.«
    Die Bande sah mich verzweifelt an.
    »Nun«, fragte ich, »wer will?«
    Keiner antwortete.
    »O. k.«, sagte ich, »dann tu ich es.«
    Der Kreis teilte sich, und ich marschierte hindurch. Der
    Judenjunge sah mich abschätzend an. Ich hob meine Fäuste. Er machte einen Schritt vorwärts und schlug wild nach mir. Er hatte keine Ahnung vom Boxen. Er versuchte es mit weiteren Schlägen, aber ich konnte sie alle ohne Schwierigkeit abblocken.
    Die Bande begann zu johlen.
    »Gib ihm Saures, Frankie!«
    »Tritt ihm in die Eier!«
    »Mein Gott«, dachte ich, »er weiß, daß ich ihn zu Mus schlagen kann. Warum, zum Teufel, haut er nicht ab?«
    Ich trat auf ihn zu, versetzte ihm einen Mordsschlag in den Bauch und gleich darauf einen rechten Kinnhaken. Er sackte zusammen und fiel auf den Rücken. Die Jungen hüpften erregt auf und ab. »Mach ihn fertig«, johlten sie. Der Judenjunge versuchte aufzustehen, schaffte es aber nicht ganz. Schließlich blieb er einfach liegen und beobachtete mich. Ich ließ meine Fäuste sinken.
    Willie schrie: »Rollt ihn in den Rinnstein!« Die Jungen drängten sich näher an ihn heran. Ich trat über ihn hinweg und baute mich vor ihm auf.
    »Ich habe ihn k. o. geschlagen«, sagte ich. »Laß ihn jetzt in Ruhe!«
    Sie sahen mich einen Moment erstaunt an, bis sie merkten, daß es mir ernst war. Dann wußten sie nicht, was sie tun sollten, und blickten sich ratlos an.
    »O. k.«, sagte ich. »Ihr habt euren Spaß gehabt. Jetzt haut ab.«
    Sie verkrümelten sich allmählich. Als sie um die Ecke verschwunden waren, setzte ich mich auf den Bordstein, dicht neben den Judenjungen. Ich nahm eine Packung Zigaretten aus der Tasche und bot ihm eine an. Er schüttelte den Kopf. Ich nahm mir selbst eine und zündete sie an. Wir sagten eine Weile nichts. Dann richtete er sich langsam auf.
    »Besten Dank«, sagte er.
    »Für einen Schlag in die Fresse?« fragte ich und lachte.
    »Für schonende Behandlung«, sagte er. »Diese Bande...«
    »Ach, die sind gar nicht so schlimm. Sie wollten nur dn bißchen Spaß haben. Sie haben sich nichts dabei gedacht.«
    »Schöner Spaß«, sagte er, stand auf und nahm sein Buch an sich. Er schien etwas schwach auf den Beinen zu sein.
    »Du solltest boxen lernen, Judenjunge, wenn du dich in dieser Gegend herumtreiben willst«, sagte ich.
    Er antwortete nicht, aber ich sah ihm an, daß er die feste Absicht hatte, es zu lernen.
    Gerade in diesem Augenblick kam Pater Quinn vom Waisenhaus vorbei, und ich sprang rasch auf.
    »Guten Tag, Francis«, sagte er.
    »Guten Tag, Pater«, erwiderte ich und legte salutierend die Hand an die Stirn.
    »Du hast doch nicht etwa mit diesem Jungen gerauft, Francis?« fragte er argwöhnisch mit einem Blick auf den Judenjungen.
    Bevor ich antworten konnte, sagte der Judenjunge: »O nein, Sir, wir haben uns nicht geschlagen. Francis hat mir nur Boxunterricht gegeben.«
    Pater Quinn sah sich den Jungen näher an. »Nun«, sagte er, »paß auf, daß er bei dem Unterricht nicht in allzu große Begeisterung gerät. Er vergißt sich manchmal dabei.« Dann wechselte er auf den Ton über, den er gebrauchte, wenn sich einer nicht bei der Messe sehen ließ: »Wie heißt du, mein Sohn? Ich kann mich nicht entsinnen, dich in der Kirche gesehen zu haben.«
    »Ich bin Jude«, sagte der Junge. »Mein Name ist Martin Cabell.« »Oh«, sagte Pater Quinn,

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