Die Moralisten
»dann bist du sicher Joe Cabells Sohn.«
»Ja, Sir.«
»Ich kenne deinen Vater. Ein guter Mann. Willst du ihm eine Empfehlung von mir ausrichten?«
»Gern, Sir.«
»Also, Jungs, ich muß weiter. Denkt dran: keine Schlägerei!« Er wandte sich zum Gehen, blieb aber noch einmal stehen. »Francis«, rief er, »nimm lieber die Zigarette aus der Tasche, bevor du dir ein Loch in die Hose brennst.«
Der Judenjunge und ich sahen uns an und lachten.
»Das scheint ein anständiger Kerl zu sein«, sagte Martin.
»Der ist in Ordnung«, erwiderte ich.
Wir gingen zusammen die Straße hinunter.
»Wohnst du in dieser Gegend?« fragte ich.
»Meinem Vater gehört der Drugstore an der Ecke von der 59. Straße und dem Broadway. Wir wohnen am Central Park West.«
Wir waren an der Ecke von Ninth Avenue angelangt. Ich blickte in das Schaufenster eines Uhrmachers und sah, daß es schon nach vier war.
»Ich muß rennen«, sagte ich, »ich hab' zu arbeiten.«
»Komm doch in unseren Drugstore, wenn du fertig bist. Ich spendiere dir dann eine Limonade«, sagte Martin.
»O. k.«, sagte ich. »Bis später.«
Keoughs Billardsaal war leer, als ich hinkam. An diesem Nachmittag schien das Geschäft nicht recht zu laufen. Ich säuberte rasch das Lokal und schnappte mir die Bücher, um die Wettbeträge auszurechnen.
Gegen halb sechs erschienen einige Kunden, um ihre Schulden zu bezahlen, und ich wurde in den Keller geschickt, um ein paar Flaschen kaltes Bier zu holen. Als ich wieder raufkam, war Silk Fennelli da und unterhielt sich mit Keough. Er sah mich an. Dann sagte er: »Hallo, Frankie.«
»Hallo, Mr. Fennelli«, erwiderte ich, stolz, daß er mich erkannte.
Nach seinem Gespräch mit Keough kam er zu mir. »Na, wie wär's, willst du meinen Schuhen mal wieder deine Spezialbehandlung geben?«
»Sofort, Sir«, sagte ich und lief zum Schrank, um meinen Schuhputzkasten herauszuholen.
Ich gab mir große Mühe. Ich rieb, bis sich mein Gesicht im Leder spiegelte.
Er war zufrieden, das konnte ich sehen. Er gab mir einen halben Dollar und fragte, ob ich mal wieder aus einer Kneipe herausgeschmissen worden sei.
Ich lachte. Keough kam herbei, und Fennelli erzählte ihm, was sich zugetragen hatte.
Ich stellte den Schuhputzkasten fort und wandte mich wieder meinen Zahlen zu. Keough und Fennelli blickten mir über die Schulter.
»Macht er die Ausrechnungen für dich?« fragte Fennelli.
»Ja«, sagte Jimmy, »und er macht es verdammt gut. Er
versteht seinen Kram.«
Fennelli lächelte mir zu. »Mach weiter so, Junge. Dann wirst du eines Tages ein großer Mann in der Branche sein.«
Er winkte zum Abschied, stieg in sein Auto und fuhr davon.
>Eines Tages ein großer Mann in der Branchec, dachte ich. Die Worte klangen in meinen Ohren nach. >Ganz recht, der größte Spieler in der Stadt - das werde ich sein. Nur werde ich nicht spielen. Ich werde das Geschäft von oben leiten wie Silk Fennelli. Die kleinen Gauner werden die schmutzige Arbeit verrichten, und ich werde die Gewinne einstreichen. Und dann werde ich einen größeren Wagen fahren als Fennelli -<
Den ganzen Nachmittag hing ich diesen Träumen nach, und ehe ich mich's versah, war es Zeit, nach Hause zu gehen.
Es hatte zu regnen begonnen. Als ich Cabells Drugstore erreichte, war ich ziemlich naß. Martin kam mir entgegen.
»Freut mich, daß du gekommen bist«, sagte er. »Willst du eine Limonade?«
Martin war ein Jahr jünger als ich, aber im selben Schuljahr. Nach einer Weile kam ein Mädchen zu uns herüber und wandte sich an Martin.
»Wir müssen uns beeilen, Marty, sonst kommen wir zu spät zum Abendessen.« Ich dachte mir, daß es seine Schwester sei, und ich hatte recht.
Er machte uns miteinander bekannt: »Frankie, das ist meine Schwester Ruth.«
»Guten Abend«, sagte ich.
Sie lächelte mich an. »Freut mich, dich kennenzulernen«, sagte sie. Sie war etwa fünfzehn und wirklich bezaubernd - eine auffallend gute Figur, blondes Haar, zu einem krausen Bubikopf geschnitten, und blaue Augen wie Martin. Und wie Martin hatte sie eine besondere Art, den Menschen beim Sprechen gerade in die Augen zu sehen. Sie ging in die sechste Klasse der höheren
Schule. Ich war einen halben Kopf größer als sie, und als Marty mich fragte, wie alt ich sei, sagte ich, ich wäre fast sechzehn. Ich hoffte, daß das Eindruck auf das Mädchen machte.
Martin erzählte ihr, wie wir uns kennengelernt hatten. Darauf sah sie mich merkwürdig an und ging. Ich überlegte, was sie verstimmt haben
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