Die Moralisten
so froh, daß du geblieben bist, Marja«, flüsterte er. »Sonst hätte ich immer nur Angst gehabt.«
»Ich bleibe immer bei dir, mein Liebling«, rief sie und drückte seinen
Kopf an ihre Brust.
Er hustete, und ein schwacher Blutstrom floß von seinen Lippen auf ihre Bluse. Sein Kopf fiel nach vorn. Sie blickte auf ihn herab. Seine Augen waren leer und starr.
Sie betrachtete ihre weiße Bluse. Die schmale Blutspur wurde immer breiter. Aus dem Fernsehapparat prasselte ihr schallendes Gelächter entgegen. Sanft ließ sie seinen Kopf auf die Couch sinken und erhob sich.
Tom stand in der Tür, sein dunkles Gesicht aschgrau. »Ich habe den Arzt angerufen, Miß Maryann.«
»Ich danke ihnen, Tom«, sagte sie erschöpft und ging zum Fernsehapparat, um ihn auszuschalten.
10
Mike betrat das Büro und nahm den Hut ab. Er warf ihn auf einen Stuhl dem Schreibtisch gegenüber. Seine Stirn glänzte vor Schweiß. Erging zu seinem Schreibtisch und setzte sich schwerfällig hin.
Joel, der am anderen Schreibtisch saß, blickte auf. »Warm heute«, sagte er.
Mike lächelte. »Sehr warm für Mai. Wenn das so weitergeht, bekommen wir einen verdammt heißen Sommer.«
Joel lehnte sich ermattet in seinem Stuhl zurück. »Ich bin völlig erledigt und hatte ein scheußliches Wochenende. Ich kann diese Hitze nicht mehr ertragen. Man sollte doch meinen, der Alte würde Klimaanlagen für die Büros genehmigen.«
Mike lachte auf. »Er lebt in der Vorstellung, daß gute Beamte aus ihrem eigenen Schweiß herausdestilliert werden müssen.« »Ich glaube nicht, daß er jemals in seinem Leben geschwitzt hat, dazu hat er nicht genug Blut«, klagte Joel. Er nahm ein Papier von seinem Schreibtisch und hielt es Mike hin. »Das wartet schon auf Sie.«
Mike nahm es entgegen und überflog es. »Verflucht!« stieß er hervor.
Joel lächelte. »Was ist denn los, mein Lieber?«
Mike sah ihn an und erhob sich langsam. Er nahm seinen Hut vom
Stuhl. »Machen Sie sich nur nicht über mich lustig. Sie haben es ja gelesen.«
»Worüber beklagen Sie sich eigentlich?« erwiderte Joel. »Sie machen eine hübsche Autofahrt in die Außenbezirke der Stadt und verbringen einige Stunden in einem angenehmen und kühlen Krankenhaus. Sie haben das Glück, nicht in diesem stickigen, scheußlichen Büro sitzen zu müssen.«
Mike war schon wieder auf den Gang hinausgetreten. Er drückte auf den Fahrstuhlknopf und warf erneut einen Blick auf das Papier in seiner Hand.
Verdacht auf Abtreibung.
Die Türen des Fahrstuhls glitten auseinander, und er stieg ein. Während der Fahrstuhl nach unten fuhr, las er weiter.
Florence Reese. Um 7.10 Uhr im Roosevelt-Krankenhaus aufgenommen. Innere Blutungen infolge einer Abtreibung. Zustand ernst.
Die Türen glitten auseinander, und er ging hinaus. Er überquerte den Gang und öffnete eine Tür. Beim Betreten blickten ein paar Männer von ihren Zeitungen auf und wandten sich dann ihrer Lektüre wieder zu. Er setzte seinen Weg bis zu einer anderen Tür mit einer Milchglasscheibe fort, auf der der Name Captain F. Millersen stand. Er öffnete die Tür und trat ein.
Der dunkelhaarige Mann am Schreibtisch blickte auf. »Hallo, Mike«, sagte er mit tiefer Stimme.
Mike lächelte. »Hallo, Frank. Ich brauche einen Mann, der mich ins Roosevelt-Krankenhaus begleitet. Verdacht auf Abtreibung.« Er warf das Papier auf den Tisch.
Millersen überflog es. »Aha, wieder einer dieser Fälle, was?« Mike nickte.
Millersen erhob sich. »Ich glaube, in diesem Fall komme ich selber mit, Mike.«
Mike sah ihn erstaunt an. Niemals ging Millersen selber zur Untersuchung eines Falles hinaus, falls es sich nicht um eine große Sache handelte. Oben im Haus sagte man von ihm, er besäße einen geradezu unheimlichen Instinkt für die schweren Fälle, er könnte sie geradezu riechen. »Sie wollen mich begleiten, Frank?« fragte er mit ungläubiger Stimme.
Millersen nickte. »Ja, ich werde es allmählich müde, mir meinen Hintern hier warm zu sitzen.«
Mike beobachtete ihn, während er seinen Hut nahm. »Wissen Sie etwas über die Sache, was mir nicht bekannt ist?« fragte er skeptisch. Millersen steckte sich eine Zigarre in den Mund. »Ich weiß nichts. Nur daß ich nicht mehr hier herumsitzen will. Gehen wir.«
Der Geruch von Desinfektionsmitteln hüllte sie ein, als sie den Gang mit den grüngestrichenen Wänden entlangeilten. Sie folgten der Schwester in einen Krankensaal. Ganz am anderen Ende stand ein Bett, um das man Vorhänge gezogen
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