Die Moralisten
zerrissen.«
Sie lächelte. »Du brauchst gar nicht so nett zu mir zu sein, Ross«, meinte sie neckend. »Ich habe bereits ja gesagt.«
Er sah ihr lächelnd ins Gesicht. »Ich meine es wirklich«, sagte er ernst. »Es gibt so vieles, was ich dir habe sagen wollen und doch nie gesagt habe.«
Ein zärtlicher Ausdruck trat in ihre Augen. Impulsiv drückte sie ihre Lippen auf seine Wange. »Ich danke dir, Ross«, flüsterte sie.
Er räusperte sich verlegen, denn er war es nicht gewohnt, daß sie ihm dankte. Er setzte sich auf. »Wie wär’s mit etwas Fernsehen?« fragte er. »Wir müssen uns doch jetzt langsam daran gewöhnen, uns wie ein richtiges Ehepaar zu benehmen.«
Sie lächelte. »Einverstanden.«
Er ging zum Apparat und stellte ein. »Wie ist das Bild?« rief er über die Schulter hinweg.
»Recht gut«, antwortete sie und betrachtete die Gestalten, die sich auf dem Bildschirm bewegten.
»Schärfer bekomme ich es nicht«, erklärte er und kehrte zur Couch zurück. »Es ist ein Film.«
»Ich habe nichts dagegen«, meinte sie.
Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand. Schweigend betrachteten sie den Komiker auf dem Bildschirm. Er war eigentlich nicht sehr komisch, gab sich jedoch alle Mühe.
Sie beobachtete Ross, während er auf den Bildschirm sah.
Sein schwarzes Haar fiel ihm in die Stirn, und seine Augen waren nicht mehr hart, metallisch blau wie früher; sie waren sanft und wirkten irgendwie wärmer. Sie lächelte still vor sich hin. Er hatte lange Zeit gebraucht, um erwachsen zu werden.
Weit entfernt im Haus klingelte das Telefon. Er achtete nicht darauf. Das Klingeln brach ab, und sie hörte Toms leise Stimme, konnte aber die Worte nicht verstehen. Da wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Film zu.
»Mrs. Drego«, sagte Tom vom Eingang her.
Sie blickte auf. »Ja?«
»Jemand möchte Sie sprechen, Ma’am«, sagte der alte Diener. Sie erhob sich. Ross sah zu ihr auf. »Komm schnell zurück Baby«, rief er und lächelte.
Sie küßte ihn auf die Stirn. »Sofort, Liebling.«
Sie ging durch die Halle in die kleine Bibliothek und nahm den Hörer auf. »Hallo.«
Es kam keine Antwort. Nichts als ein leiser, hohler Laut in der Leitung.
Ein eisiger Schauer überlief sie. »Hallo, hallo«, wiederholte sie. Eine flüsternde Stimme, die ihr irgendwie vertraut schien, war zu vernehmen: »Marja?«
»Ja«, antwortete sie, »wer ist denn da?«
»Marja?« wiederholte die Stimme, als hätte sie nicht geantwortet.
Ihre Finger wurden weiß, so fest umklammerten sie den Hörer. Diese Stimme kannte sie. Sie wußte auch, warum man sie ans Telefon gerufen hatte.
»Ross!« schrie sie plötzlich auf, und ihre eigene Stimme dröhnte ihr in den Ohren. »Ross!«
Aus dem Wohnzimmer war leises Husten zu vernehmen und Splittern von Glas. Das Telefon fiel ihr aus der kraftlosen Hand. Sie rannte ins Wohnzimmer zurück.
Ross saß noch immer auf der Couch, sein Gesicht weiß und die Augen von Schmerz und Verwunderung erfüllt. Er hielt die Hände fest auf die Brust gepreßt. »Marja!« flüsterte er heiser.
Das Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. Sie streifte das Panoramafenster der Couch gegenüber mit einem Blick. Die Hälfte war zersplittert und in das Zimmer gefallen. Sie lief zu Ross hin. »Tom!« schrie sie. »Rufen Sie einen Arzt!« Ross fiel vornüber. Sie fing ihn auf und drückte seinen Kopf an ihre Brust.
»Mein Lieber! Mein Lieber!« rief sie.
Sie fühlte ihn vor Schmerz zusammenzucken. Langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. »Ich habe so viel falsch gemacht, Marja«, flüsterte er.
»Nein, mein Liebling«, entgegnete sie.
Er sprach langsam, als müßte jedes Wort eine große Entfernung zurücklegen, bevor es über seine Lippen kam. »Ich habe so vieles falsch angefaßt, Marja, aber ich habe mich bemüht, es wiedergutzumachen.«
»Ich weiß, Ross.« Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie küßte sein schwarzes Haar. Es glänzte und war triefend naß von Schweiß. Er blickte zu ihr auf. »Marja.«
»Was ist, Ross?«
»Ich bin froh, daß das Telefon klingelte, Marja. Ich liebe dich sehr.« Seine Stimme war kraftlos und von Schmerz erfüllt.
»Ich liebe dich auch, Ross«, antwortete sie und weinte. Verwunderung klang in seiner Stimme auf. »Wirklich, Marja?« Sie nickte heftig. »Warum wäre ich wohl sonst geblieben?«
Ermattet schloß er die Augen. »Du bist geblieben.« Eine Weile schwieg er. Als er seine Augen wieder öffnete, lag in ihnen eine seltsame Zufriedenheit. »Ich bin
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