Die Moralisten
»Steig ein.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Die Sache gefällt mir nicht. Für mich ein bißchen zu gefährlich.«
Ein Ausdruck der Verwunderung erschien in Ross’ Augen. »Was meinst du damit?«
»Ich mache keine Spazierfahrt in einem gestohlenen Wagen«, erklärte sie. »Wenn ich unbedingt in Schwierigkeiten geraten will, kann ich das auch allein.«
Ross lachte auf. »Dieser Wagen ist nicht gestohlen«, antwortete er. »Der gehört mir.«
Sie sah ihn zweifelnd an. »Was du nicht sagst! Wie kommst du denn zu so einem Ding? Deswegen hat wohl auch dein Freund nicht mitkommen wollen?«
Ross lächelte. »Meinst du Mike Keyes? Er mußte zu seiner Arbeit zurück. Er hilft seinem Vater. Der ist Hausmeister.«
Sie war noch immer skeptisch. »Mir kannst du das nicht aufbinden«, erklärte sie eigensinnig.
Hinter sich hörte sie Jimmys Stimme. »Los, steig ein. Es ist bestimmt sein Wagen. Ein Geschenk seines Vaters.«
Sie trat einen Schritt vom Wagen zurück. »Erst Beweise«, verlangte sie.
Alle Lustigkeit war aus Ross’ Augen gewichen. »Glaubst du mir nicht?« Seine Stimme klang abweisend und kühl.
»Ich glaube dir«, antwortete sie und blickte ihm gerade in die Augen. »Aber ich gehe kein Risiko ein. Ich kenne ein Mädchen hier in der Straße, die hat einem Mann geglaubt, und jetzt sitzt sie in Bedford.« Zornesröte stieg in sein dunkles Gesicht. »Dann hau ab!« rief er gereizt. »Ich kann tausend so billige Stücke wie dich haben, die mit mir fahren.«
Sie wandte sich um und begann die Straße entlangzugehen. Sie war fast an der Ecke angelangt, als seine Stimme sie aufhielt. Sie wartete, bis er sie eingeholt hatte.
»Einen Augenblick, Marja«, rief er, und seine Hand griff in seine Tasche. »Es ist mein Wagen. Ich will es dir zeigen.«
Er holte eine Brieftasche heraus und gab sie ihr. Sie sah hinein. Es lagen mehr grüne Geldscheine in ihr, als sie jemals in ihrem Leben gesehen hatte. Fragend sah sie ihn an.
»Mach die Innentasche auf«, sagte er.
Sie tat es. Auf der einen Seite lag ein Führerschein und auf der anderen die Zulassung. Beide waren auf Ross Drego, Park Avenue 987, New York City, ausgestellt. Rasch warf sie auch einen Blick auf die Altersangabe. Er war achtzehn. Ohne ein Wort klappte sie die Brieftasche zu und gab sie ihm zurück.
»Kommst du jetzt mit?« fragte er.
»Warum hast du mir das nicht gleich zeigen können?« entgegnete sie.
»Ich war böse auf dich«, antwortete er rasch. Ein Lächeln trat in sein Gesicht. »Es tut mir leid. Verzeihst du mir?«
Sie sah ihn einen Augenblick an. Er war ein seltsamer Mensch. Niemals zuvor war sie jemandem wie ihm begegnet. Er hatte eine so nette Art zu reden, und dennoch verspürte sie tief in ihm etwas Unbeherrschtes und Böses. Aber es verschwand, sobald er lächelte. Sie ergriff seinen Arm. »Dann komm, aber schnell«, rief sie. »Es ist schrecklich heiß. Ich kann es kaum erwarten, ins Wasser zu kommen.«
»In welchem Teil von Coney Island sind wir?« fragte Marja, als Ross vor einem Tor stehenblieb und hupte.
»Sea Gate. Wir haben hier ein Haus.«
»Was meinst du damit, ein Haus? Doch wohl nur ein Schließfach in einem Klub?« fragte sie.
Das Lächeln verschwand von seinen Lippen. »Nein. Ein richtiges Haus. Das hier ist Privatgrund.«
Ein Pförtner erschien hinter dem Gitter.
»Mach auf, Joe«, rief Ross.
»Ach, Sie sind es, Mr. Drego«, sagte der Pförtner.
Langsam schwangen die Torflügel auf.
»Es ist ein Sommerhaus«, erklärte Ross, während er durch das Tor fuhr. »Wir wohnen hier draußen, wenn mein Vater zuviel zu tun hat, um sich vom Büro trennen zu können. Was nicht selten vorkommt!« Marja blickte um sich. Auf beiden Seiten der Straße lagen wunderschöne Häuser inmitten weiter, von riesigen Bäumen überschatteter Rasenflächen. »Teufel!« rief sie. »Hier lebt man ja wie in einem Park.«
Ross antwortete nicht. Sie drehte sich zu Francie um, die hinter ihr saß. »Findest du nicht, Francie?« fragte sie.
Auch Francie und Jimmy waren beeindruckt. Beide starrten die Häuser an. Francie nickte. »Bestimmt leben hier nur Millionäre«, meinte sie.
Marja wandte sich wieder Ross zu. »Hast du das gehört?« fragte sie. Ross nickte, sagte jedoch nichts. Seine Augen waren auf die Straße gerichtet.
»Stimmt das?« fragte sie.
Ross schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Dein alter Herr muß aber reich sein«, fuhr sie fort.
Er bog in eine Einfahrt ein und hielt an. Er streckte die Hand vor und schaltete die
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