Die Moralisten
sie und die Kinder sorgt.«
Marja war in Tränen ausgebrochen. »Aber Mama! Wir beide kamen doch so gut zurecht. Wir brauchen niemanden.« Sie wischte sich die Augen mit den Händen. »Niemand kann an Papas Stelle treten.« Kattis Stimme klang noch immer sanft. »Das wird auch niemand tun, mein Kind. Onkel Peter will doch nichts weiter, als gut zu uns sein und uns helfen. Er liebt uns und will für uns sorgen.«
Marja wandte sich aufgebracht zu ihm um. »Das glaube ich nicht!« schrie sie. »Er ist ein komischer, schmutziger, kleiner, schwarzer Mann und gar nicht wie Papa.«
Kattis Stimme wurde energisch. »Marja«, fuhr sie ihre Tochter an, »so darfst du nicht über deinen neuen Vater sprechen.«
»Er ist nicht mein Vater!« schrie Marja. »Und er wird es niemalssein!« Sie drehte sich um, lief in ihr Zimmer gleich neben der Küche und warf die Tür hinter sich zu.
Nachdem sie gegangen war, sahen sie einander hilflos an. Schweigend ließ sich Peter am Tisch nieder. Sie ist ein wildes Ding, dachte er. Henry hatte ganz recht, als er sagte, sie habe ein heftiges Temperament. Sie brauchte eine feste Hand. Waren sie erst einmal verheiratet, würde er sie sich schon vornehmen. Ein paar rote Striemen auf ihrem hübschen kleinen Hintern waren alles, was ihr fehlte.
Katti kam um den Tisch herum und legte ihre Hand auf seine Schulter. »Nimm es dir nicht so zu Herzen, Peter«, bat sie. »Sie ist jetzt nur völlig durcheinander. Du weißt doch, wie so etwas ist.«
Das trübe graue Licht des Morgens fiel in den engen Hof ein und kroch durch das Fenster, als Katti die Tür öffnete. Sie blieb einen Augenblick in der Tür stehen und betrachtete ihre Tochter.
Sie sah die schlafende Marja verwundert an. Im Wachen war sie fast eine Frau, nun aber war sie wie ein Kind. Ihre Züge waren entspannt und freundlich und ihr Atem so sanft, daß sich die leichte Decke auf ihrer Brust kaum bewegte. Das war die Marja, die sie kannte, ihr stilles, hübsches, kleines Mädchen.
Sie betrat das Zimmer und ging zum Kinderbett. Schnell tastete sie das Baby ab. Ein Wunder. Der Kleine war noch immer trocken. Bei der Berührung gab er einen leisen Laut von sich. Rasch drehte sie sich um und blickte zu ihrer Tochter hinüber.
Marjas Augen waren geöffnet. Sie sah ihre Mutter an, und der Schlaf war ganz aus ihren Augen gewichen. »Guten Morgen, Mama.«
Katti antwortete ihr nicht. Sie mußte daran denken, was für Sorgen sie sich am Tag vorher gemacht hatte, als Marja aus der Schule nicht nach Hause kam. Peter hatte ihr hinterher erzählt, sie sei schwimmen gegangen und sei erst gegen elf nach Hause gekommen.
Marja richtete sich im Bett auf; die Decke fiel herab und entblößte ihren nackten Körper. Sie gähnte und streckte sich. Ihre Brüste hoben sich auffällig weiß gegen ihre sonst sonnengebräunte Haut ab.
»Marja! Deck dich zu!« rief Katti empört. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht ohne Pyjama schlafen? Das gehört sich nicht.«
»Aber Mama, es war doch so heiß.« Marja griff nach dem Oberteil des Pyjamas und schlüpfte hinein. »Außerdem sieht mich hier doch niemand.«
»Das ist gleichgültig!« erklärte Katti. »Es ist unanständig, so zu schlafen. Nur Tiere tun das.«
Marja stieß die Decke zurück und sprang aus dem Bett; der Oberteil des Pyjamas fiel bis auf ihre Schenkel herab. Sie ging zu ihrer Mutter hinüber und küßte sie auf die Wange. »Sei nicht so böse, Mama«, sagte sie.
Katti mußte gegen ihren Willen lächeln. Sie schob ihre Tochter zur Seite. »Versuch nur nicht, mir schönzutun«, mahnte sie. »Ich kenne
alle deine Schliche.«
Marja erwiderte das Lächeln ihrer Mutter. »Ich bin gestern schwimmen gewesen«, rief sie hastig, um der nächsten Frage ihrer Mutter zuvorzukommen. »Siehst du, wie verbrannt ich bin?« »Ich habe es gesehen«, antwortete Katti kurz.
»Jemand von Francies Bekannten hat ein Haus auf Coney Island«, erklärte Marja. »Es ist ein Haus in Sea Gate. Ein großes Haus.«
Katti war beeindruckt. »Sea Gate?« wiederholte sie leise. »Dort ist es sehr teuer. Ihre Familie muß sehr reich sein.«
»Das ist sie auch«, antwortete Marja. Sie ließ ihre Mutter in dem Glauben, daß es sich um ein Mädchen handelte. »Sonst lebt die Familie in der Park Avenue.«
Das Baby begann plötzlich zu schreien. Katti beugte sich über das Kinderbett und hob den kleinen Jungen hoch. Sofort hörte er zu weinen auf und lachte sie an. »Trotzdem hättest du nach Hause kommen müssen, um
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