Die Moralisten
es mir zu sagen«, fuhr Katti über den Kopf des Kindes zu Marja gewandt fort. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Es blieb keine Zeit mehr, Mama«, antwortete Marja. »Wir sind gleich nach der Schule losgefahren.«
»Aber du bist doch erst kurz vor elf nach Hause gekommen«, sagte Katti und legte den Jungen auf Marjas Bett. Geschickt begann sie die Windeln zu öffnen.
Marja holte eine frische Windel von der alten Kommode und gab sie ihrer Mutter. »Sie wollte, daß ich mit ihr esse, Mama«, antwortete sie, »und da bin ich eben mitgegangen.«
Katti streifte sie mit einem raschen Blick. »Tu’s nicht wieder«, sagte sie ruhig. »Dein Vater hat sich Sorgen gemacht.«
Ein abweisender Ausdruck trat in Marjas Augen. »Wieso?« fragte sie spöttisch. »War ihm das Bier ausgegangen?«
»Marja!« rief Katti streng, »so redet man nicht über seinen Vater!« Marja trat zum Wandschrank. Sie holte einen abgetragenen Bademantel heraus und schlüpfte hinein. »Er ist nicht mein Vater«, entgegnete sie eigensinnig.
Katti seufzte auf. »Warum sagst du das immer wieder, Marja?« fragte sie verletzt. »Er liebt dich und möchte, daß auch du ihn gern hast. Aber es ist alles umsonst, wenn du es nicht wenigstens versuchst.«
Marja antwortete nicht. Sie nahm ihre Zahnbürste aus einem Glas auf der Kommode und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen und blickte zu ihrer Mutter zurück. »Ich werde Peters Flasche herrichten«, sagte sie. In der Küche stellte sie die Flasche des Babys in einen Topf mit Wasser auf den Herd. Sie zündete die Flamme darunter an und ging zum Abwaschtisch. Rasch und gründlich wusch sie sich, nahm dann die Flasche und kehrte in ihr Zimmer zurück. »Gib Peter die Flasche«, sagte Katti und richtete sich auf. »Ich mache dir dein Frühstück. Ich will nicht, daß du zu spät in die Schule kommst.« Marja beugte sich mit der Flasche in der Hand über das Baby. Sie lachte es an.
»Willst du dein Frühstück haben, Peter?«
Peters dunkle, kleine Augen strahlten sie an. Seine Händchen streckten sich nach der Flasche aus, und sein zahnloser Mund öffnete sich in einem Lächeln.
»Du bist so husch«, sagte sie und steckte ihm die Flasche in den Mund. Er schmatzte zufrieden, und seine Lippen umschlossen den langen Gummisauger. Einige Tropfen Milch rannen über sein Kinn.»Ferkelchen«, rief Marja lachend und wischte ihm mit dem Handtuch, das sie noch in der Hand hielt, das Gesicht ab. Sie blickte auf ihn herab. »Wirst du auch nicht aus dem Bett fallen, während Marja sich anzieht?« fragte sie.
Peter sog statt einer Antwort nur selig an seiner Flasche.
Sie richtete sich auf, und die dunklen Augen des Kindes folgten ihr. »Ich glaube, das schaffst du schon«, sagte sie lächelnd. Sie ging zur Kommode hinüber und suchte sich ein paar Sachen zum Anziehen heraus.
Sie warf den Bademantel ab und zog die Pyjamajacke aus. Fast in der gleichen Bewegung schlüpfte sie flink in ihr Höschen und griff nach dem Büstenhalter auf der Kommode. Ein Lichtschimmer traf plötzlich ihre Augen, und sie blickte in den Spiegel über der Kommode.
Die Tür hinter ihr stand offen. Sie konnte in die Küche sehen. Ihr Stiefvater saß am Tisch und betrachtete sie. Ein Ausdruck der
Verachtung breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Er senkte die Augen. Sie beobachtete ihn noch immer, streifte sich langsam die Träger des Büstenhalters über die Arme und machte ihn fest. Dann wandte sie sich um und trat zur Tür. Wieder blickte er auf. Schweigend blieb sie einen Augenblick dort stehen, schloß dann rasch die Tür und zog sich fertig an.
Peter hatte seine Flasche ausgetrunken. Fröhlich nahm sie ihn hoch und ging in die Küche. Ihr Stiefvater war nicht mehr da. Katti stellte einen Teller mit Haferflocken auf den Tisch und streckte die Arme nach dem Kind aus. »Hat er die Flasche ausgetrunken?« fragte sie. Marja nickte. Sie gab Peter ihrer Mutter und setzte sich. »Wieder Haferbrei?« fragte sie und starrte den Teller an.
»Haferbrei ist gut für dich«, sagte Katti. »Iß ihn nur.«
Marja rührte das Essen noch immer nicht an. Sie hatte Lust auf eine Zigarette. Sie sah ihre Mutter forschend an und fragte sich, ob sie es wagen dürfte, sich vor dem Frühstück eine anzustecken. Aber sie entschied sich dagegen. »Ich bin nicht hungrig«, erklärte sie.
Ihr Stiefvater kam in die Küche zurück. »Ist Haferbrei etwa für deine gehobenen Ansprüche nicht gut genug?« fragte er polternd. »Vielleicht würde das Fräulein lieber
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