Die Moralisten
Arbeit suchtest, damit sie nicht mehr nachts zu arbeiten brauchte«, entgegnete sie gehässig.
Er hob die Hand, als wollte er sie schlagen.
»Nur los, ich nehme es mit dir auf!« rief sie spöttisch, und ihre Lippen entblößten ihre Zähne.
Er beschimpfte sie auf polnisch. »Kurva! Hure!«
Verachtung lag in ihren Augen. »Biersaufender Strolch!« stieß sie hervor. »Du würdest es nicht wagen, mir etwas anzutun, denn du weißt ganz genau, daß meine Mutter dich dann rausschmeißt!«
Langsam sank seine Hand herab. »Wäre ich nicht zu Lebzeiten deines Vaters sein bester Freund gewesen, würde ich mich überhaupt nicht um dich kümmern«, murmelte er.
»Laß ihn aus dem Spiel!« rief sie heftig. »Zumindest war er ein Mann. Er sorgte für seine Familie. Er lungerte nicht den ganzen Tag herum und trank Bier.«
Er war nun in die Defensive gedrängt. Sie spürte es, und ein Gefühl des Triumphes stieg in ihr auf. »Deine Mutter will nicht, daß ich noch auf dem Bau arbeite«, sagte er unsicher. »Ich hab’s ihr versprechen müssen, als wir heirateten. Sie sagte damals, es genüge ihr, dabei schon einen Mann verloren zu haben.«
»Du hast ihn herunterstürzen sehen«, erwiderte sie kühl. »Hält dich dein Versprechen oder deine Angst zu Hause?«
Das Weinen des Babys wurde jetzt lauter und dringlicher. Er stand einen Augenblick schwer atmend da und wandte sich dann von ihr ab. »Sieh nach, was Peter will«, sagte er.
Die Tür des Schlafzimmers schloß sich hinter ihr. Er schlurfte zum Eisschrank und nahm eine Büchse Bier heraus. Geschickt öffnete er sie und hielt die Büchse an die Lippen. Etwas Bier rann ihm über die Wangen und tropfte auf sein Unterhemd. Er trank lange und durstig und warf die leere Büchse in einen Papiersack auf dem Abwaschtisch. Das Weinen hatte aufgehört. Er starrte die geschlossene Tür an.
Sie war ein Luder, es gab kein anderes Wort dafür. Er wischte sich den Mund mit dem Arm ab. Niemand wurde mit ihr fertig. So war es nun schon, seit ihre Mutter ihr gesagt hatte, sie würden heiraten.
Er schloß die Augen, als er an jene Zeit zurückdachte. Nur drei Jahre waren verstrichen. Einen Monat zuvor hatte ihr Vater im dreiundzwanzigsten Stockwerk eines Neubaus einen Stahlträger verfehlt.
Noch immer sah er den Ausdruck der Verwunderung auf Henrys Gesicht, als ihm bewußt wurde, daß das Gerüst, das dort hätte sein sollen, nicht mehr da war. Es war ein Augenblick, in dem alles stillzustehen schien. Seine Lippen begannen das Wort »Peter!« zu formen, und seine Hand griff voller Entsetzen nach dem Freund.
Dann stürzte er in die Tiefe. Als Peter hinabblickte, sah er Henrys
Mütze langsam ihm nachsegeln, und das blonde Haar seines Freundes schimmerte und funkelte in der Sonne, während er sich immer wieder überschlug.
Das Bier kam ihm hoch, als er an jene beklemmenden Augenblicke dachte. Er hielt eine Sekunde lang den Atem an und mußte dann rülpsen. Das Gefühl der Übelkeit wich. Jedesmal, wenn er Marja anblickte, sah er auch seinen Freund. Das gleiche hellblonde Haar, hoch angesetzte Backenknochen, wie man sie oft bei Polen findet, und ein sinnlicher Mund. Auch ihre Art zu gehen erinnerte ihn an ihren Vater. Beide hatten denselben sicheren, katzenähnlichen Gang. An dem Abend, an dem er Katti seinen Antrag machte, hatte er es zum erstenmal bemerkt. Das war einen Monat nach dem Tod von Marjas Vater. Er hatte seinen besten Anzug angezogen, den er sonst nur am Sonntag beim Kirchgang trug, und im Drugstore für zwei Dollar eine Schachtel Konfekt gekauft. Der Verkäufer hatte ihm versichert, es sei das Beste, was er habe, und frisch sei es auch. Er war die Treppe zur Wohnung hinaufgestiegen und draußen auf dem Gang stehengeblieben, schwitzend vor Anstrengung und Nervosität. Einen Augenblick hatte er gezögert und dann vorsichtig an die Tür geklopft.
Kurz darauf hörte er die Stimme ihrer Mutter. »Wer ist da?« fragte Katti.
»Ich, Peter«, antwortete er.
Auf der anderen Seite der Tür waren verschwommene Laute und eiliges Hin und Her zu vernehmen. Dann wurde sie geöffnet. Da stand Marja und sah ihn mit weiten Augen an.
»Hallo, Onkel Peter«, sagte sie.
Er lächelte sie an, und seine Augen suchten im Zimmer nach ihrer Mutter. Der Küchentisch war mit Nadeln und Stücken eines weißen Stoffes bedeckt. Katti war nicht zu sehen. »Guten Tag, Marja«, antwortete er ratlos. »Ist deine Mutter nicht da?«
Marja nickte. »Sie zieht sich nur ein Kleid an.« Sie trat von der Tür
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