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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Gefängnis zubringen konnte. Schon als junges Mädchen war sie nicht anders gewesen.
    Ich erinnerte mich an einen Tag, an dem ich versucht hatte, sie daran zu hindern, bei Rotlicht im dichtesten Verkehr die Straße zu überqueren. Zornig hatte sie mich zurückgestoßen. »Das ist der
    Haken bei dir, Mike«, hatte sie höhnisch gesagt. »Du hast Angst vor dem Risiko. Sogar in einer so kleinen Sache!«
    »Aber, Marja«, hatte ich widersprochen, »du könntest verletzt oder sogar getötet werden.«
    Sie hatte mich angesehen, und in ihren Augen flackerte ein ungestümes Feuer. »Na und, Mike?« antwortete sie und trat über den Rinnstein hinaus. »Es ist doch wohl mein Körper und nicht deiner.« Darin lag im wesentlichen der Unterschied zwischen uns. In dieser Art, das Leben zu betrachten, und noch so manchem anderen. Ebenso in der Verschiedenheit unserer Erziehung. Sie besaß eine geradezu überraschend widersprüchliche Fähigkeit zur Liebe und zur Grausamkeit.
    Wieder nahm ich einen Schluck. Kühl und süßlich brannte sich der Gin meine Kehle hinab. Ich glaube, meine Mutter hat es eines Abends, als ich völlig niedergeschlagen nach Hause kam, nachdem ich vergeblich auf Marja gewartet hatte, ganz klar erkannt.
    Ich war schon zu groß, um weinen zu können, aber hinter meinen Augen lauerten die Tränen. Meine Mutter wußte es sofort, als ich zur Tür hereinkam. Sie trat rasch auf mich zu. Ich wandte mich um, denn ich wollte mich in mein Zimmer zurückziehen, aber da hatte schon ihre Hand die meine ergriffen und hielt mich fest.
    »Sie ist nichts für dich, Mike«, sagte sie sanft.
    Ich antwortete ihr nicht, sondern starrte sie nur an.
    »Ich werde dir niemals sagen, wen du gern haben sollst, mein Junge«, fügte sie hinzu. »Aber sie ist ganz einfach nichts für dich. Sie ist ohne Liebe aufgewachsen und weiß nicht, was Liebe ist.«
    Ich hatte ihr meine Hand entzogen und war in mein Zimmer gegangen. Aber was sie mir damals sagte, blieb in meinem Gedächtnis haften. Ohne Liebe.
    Jetzt verstand ich endlich, was meine Mutter gemeint hatte. Das war, auf den einfachsten Nenner gebracht, Marjas Leben: Ein Leben ohne Liebe.
    Erstes Buch
    Marja
    23
    Sie stieß die Tür des Schokoladengeschäfts auf und blieb einen Augenblick stehen, um ihre Augen an das trübe Licht zu gewöhnen. Im Licht des strahlenden Sonnenscheins hinter ihr schimmerte ihr Haar wie Gold. Ihre hochrot geschminkten Lippen entblößten in einem zögernden Lächeln ihre weißen, regelmäßigen Zähne. Sie ging auf den Ladentisch zu.
    Es war niemand im Laden. Ungeduldig klopfte sie mit einer Münze auf die Marmorplatte.
    Aus dem hinteren Teil des Ladens, wo Mr. Rannis seine Zimmer hatte, kam sogleich eine Antwort. »Einen Augenblick, nur eine Sekunde. Komme gleich.«
    »Schon gut, Mr. Rannis«, rief sie. »Ich bin’s nur. Ich kann warten.« Der alte Mann erschien in der Tür des Hinterzimmers. Seine Hände waren noch damit beschäftigt, seine Kleidung zu ordnen. »Marja!« rief er, und in seiner Stimme lag nun ein Ton freudiger Überraschung. Mit steifen Beinen kam er hinter dem Ladentisch auf sie zu. »Was darf es sein?«
    Sie lächelte ihn an. »Fünf Twenty Grands, bitte.«
    Automatisch wandte er sich zum Regal um, zögerte dann aber und hielt inne. Über seine Schulter hinweg sah er sie fragend an. »Keine Angst, Mr. Rannis«, sagte sie hastig. »Ich habe Geld genug.«
    Er griff nach einem offenen Päckchen, schüttelte vorsichtig fünf Zigaretten heraus und legte sie auf den Ladentisch. Aber seine Hand bedeckte sie.
    Sie schob ihm die Münze hin. Er nahm die Hand von den Zigaretten, wischte die Münze über den Ladentisch auf sich zu und ließ sie in die Geldschublade gerade unterhalb der Tischplatte fallen.
    Die Zigaretten mit ihrem weißen Papier hoben sich hell vom schmutziggrauen Marmor ab. Langsam nahm sie eine Zigarette,
    steckte sie in den Mund und griff nach der offenen Schachtel Streichhölzer auf dem Ladentisch.
    Bevor sie jedoch ein Streichholz anzünden konnte, hielt er ihr bereits ein brennendes hin. Sie hielt das Ende ihrer Zigarette in die Flamme und tat einen tiefen Zug. Sie fühlte, wie der scharfe, bittere Rauch ihre Lungen durchzog. Sie atmete aus, und der Rauch wirbelte ihr aus Mund und Nase. »Mann, tut das gut«, sagte sie. »Ich hatte geglaubt, ich komme überhaupt nicht mehr aus der Schule raus. Den ganzen Tag lang habe ich mich nach dieser Zigarette gesehnt, und niemand hat mir auch nur einen Zug geben wollen.«
    Der Alte sah sie

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