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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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flüsterte sie. »Immer bist du es gewesen, was auch geschehen ist. Ich habe eben keinen besseren Weg gewußt.« Dann jagte der Wagen mit aufheulendem Motor davon. Die Rücklichter verschwanden um eine Ecke herum, und ich ging zum
    Taxistand.
    Noch immer verspürte ich den leichten Druck ihrer Lippen und ihr Parfüm. Ich verstand sie nicht. Niemals würde ich sie verstehen. Je besser ich sie kannte, desto weniger verstand ich sie.
    Zum Beispiel damals, als ich Soldat war. Es war ein wunderbares Wochenende gewesen. Damals gehörte sie mir - ich wußte es, ich konnte es fühlen. Aber sie war mit Ross weggegangen. Nachdenklich rieb ich meinen gebrochenen Nasenrücken. Das hatte Ross damals getan.
    Ich stieg in ein Taxi, nannte dem Fahrer meine Adresse und lehnte mich auf dem Sitz zurück. So viele Jahre. So viel hatte sich verändert. Ross war tot. Nichts war mehr wie früher. Ich seufzte tief auf. Nichts - außer meinen Gefühlen ihr gegenüber.
    Drittes Buch
    Maryann
    Als Henry Vito in sein Büro kam, wartete schon der Schuhputzjunge auf ihn. Mit energischen Schritten trat er ein, warf seinen Mantel auf das kleine Ledersofa und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er streckte einen Fuß zum Boy hin aus, sagte »Guten Morgen, Tony«, und griff nach den Zeitungen auf seinem Schreibtisch.
    »Buon giorno , Signor Vito«, antwortete der Junge und begann den Schuh mit einem Lappen abzureiben.
    Vito überflog rasch die ersten Seiten der Zeitungen. Die Schlagzeilen waren die gleichen wie am Tag vorher. Er warf die Zeitungen in den Papierkorb und begann die Morgenpost zu sichten. Nichts Wichtiges. Nervös stellte er auf ein Klopfen des Jungen hin den anderen Fuß auf den Schuhkasten und blickte zum Fenster hinaus.
    Jenseits der Straße lag ein Park, und dahinter erhob sich das graue Steingebäude des Kriminalgerichts. Er kam sich wie ein Gladiator vor, der die Arena betrachtet. Stets war es so gewesen, schon damals, als er noch als Junge im Klein-Italien der Stadt herumlief. Diese gewisse Herausforderung, die in diesem Symbol der Autorität lag. Das Gesetz nur zu verhöhnen, war zu einfach; der eigentliche Spaß lag darin, es durch sich selbst lächerlich zu machen. Darin steckte auch der Gewinn. Das schuldbewußte Gewissen von seinen gesetzlichen Fesseln zu befreien war ein einträglicher Beruf.
    Er spürte ein leichtes Klopfen an seinem Fuß. Das bedeutete, daß das Schuhputzen beendet war. Er gab dem Jungen eine Münze und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch herum. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Er nahm den Hörer ab. »Eine Miß Maryann Flood ist da und möchte Sie sprechen«, sagte die Stimme der Sekretärin.
    Der Name war ihm nicht vertraut. »Was will sie?«
    »Mandantin«, erwiderte die Sekretärin lakonisch. »Sie sagt, Sie seien
    ihr empfohlen worden.«
    »Von wem?« fragte er.
    »Sie sagt, das würde sie Ihnen persönlich erklären. Sie sagt auch, sie zahlt im voraus bar.«
    Vito mußte lächeln. Wer die Frau auch sein mochte, sie wußte, was sie wollte.
    »Schicken Sie sie herein«, sagte er.
    Einen Augenblick später öffnete sich die Tür, und seine Sekretärin erschien, von einer jungen Frau gefolgt. Vito erhob sich. »Mister Vito, Miß Flood«, stellte die Sekretärin vor.
    Die junge Frau kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Vito ergriff sie. Der Händedruck war fest und sachlich wie der eines Mannes, und dennoch strahlte etwas von ihm aus, das einen fühlen ließ, daß man es mit einer Frau zu tun hatte. »Ich danke Ihnen, daß Sie mich empfangen«, erklärte sie. Ihre Stimme war leise und angenehm.
    »Ich freue mich, Ihnen dienlich sein zu können.« Vito wies auf den Stuhl seinem Schreibtisch gegenüber. »Nehmen Sie doch bitte Platz.«
    Die Sekretärin nahm seinen Mantel von dem Sofa, wohin er ihn geworfen hatte, und ging damit hinaus. Vito setzte sich und sah die junge Frau an.
    Sie hatte schöne Hände. Sie trug keinen Schmuck und hatte kein Make-up außer ein wenig Lippenrot. Ihre Augen, die weit auseinander lagen, waren groß, dunkelbraun, fast schwarz. Feines blondes Haar quoll unter einer cremefarbenen Kappe hervor.
    Vito war stolz auf seine Fähigkeit, einen Mandanten gleich richtig einschätzen zu können. Dieses Mädchen war aus guter Familie. Alles an ihr verriet es. Wahrscheinlich wollte sie ihn wegen eines Bruders oder eines anderen Verwandten sprechen, der in Schwierigkeiten geraten war. Das waren die Fälle, die er mochte. Sie bedeuteten Geld. Er lächelte sie an. »Was

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