Die Moralisten
Dank.«
Er öffnete die Tür und ging mit ihr aus dem Zimmer. Als sie die Schwelle überschritt, sah sie ihm ins Gesicht. »Es muß doch eine einfachere Art geben, sich den Lebensunterhalt zu verdienen«, meinte sie.
Er nickte düster. »Bestimmt muß es das geben.«
Sie nahm seinen Arm, als wären sie alte Freunde, die miteinander Spazierengehen wollten. Ihre Stimme war leise und belegt. »Für uns beide, meine ich.«
Die Staatsanwaltschaft gegen Maryann Flood
Langsam ging ich an den Geschworenen vorbei. Ihre Augen folgten mir interessiert, als ich vor den Richter trat, um auf Vitos Antrag auf Abweisung der Klage zu antworten. Ich hoffte, sie würden mich hören, obwohl ich leise sprach.
»Vor jedem Gericht gibt es zwei Dinge, die man nicht aus den Augen verlieren darf. Es ist die moralische Schuld und die Schuld vor dem Gesetz. Wir können nur den Verstoß gegen das Gesetz bestrafen. Aber nur selten finden wir vor Gericht moralische Schuld und Schuld vor dem Gesetz so dicht beieinander wie in diesem Fall.
Wir haben dem Gericht und den Geschworenen die Klage gegen die Angeklagte sorgfältig dargelegt. Wir haben sie durch Beweismaterial und Zeugenaussagen untermauert. Wir haben den Standpunkt der Staatsanwaltschaft sachlich dargelegt und waren uns dabei unserer Verantwortung gegenüber allen hier vertretenen Parteien stets bewußt. Wir haben ohne Furcht und ohne Parteinahme unsere Pflicht getan und dabei ein Maß an Schuld festgestellt, das die Angeklagte schwer belastet.
Das Volk des Staates New York blickt auf Sie und erwartet von Ihnen, daß Recht gesprochen wird. Recht kann aber hier nur gesprochen werden, wenn der Antrag der Verteidigung abgewiesen wird!«
Langsam entfernte ich mich vom Richtertisch und hielt, als ich etwa die Hälfte meines Weges zurückgelegt hatte, inne.
Über meine Schulter hinweg vernahm ich die Stimme des Richters: »Dem Antrag wird nicht stattgegeben.«
Sofort brach die Hölle los. Hinter mir liefen Reporter die Gänge zwischen den Bankreihen entlang, um die Nachricht an ihre Zeitungen weiterzugeben. Der Richter schlug mit dem Hammer auf den Tisch. Endlich konnte er sich über den Tumult hinweg Gehör verschaffen.
»Das Gericht vertagt sich bis morgen vormittag um zehn Uhr.«
Ich war völlig durchgeschwitzt, als ich in mein Büro ging und dort auf einen Stuhl sank.
Joel und Alec kamen herein. »Mann, Sie brauchen etwas zu trinken«, rief Joel und musterte mich.
Ich nickte und schloß die Augen. Ich brauchte noch etwas ganz anderes. Ich wußte nicht, wie ich die nächsten zwei Wochen des Prozesses durchstehen sollte, während Vito seine Argumente vorbrachte. Ich hatte das Gefühl, alle meine Energiereserven seien erschöpft.
»Hier«, sagte Joel.
Ich öffnete die Augen, nahm das Glas und stürzte den Alkohol hinunter. Er brannte in der Kehle und im Magen. Ich hustete. »Hundertprozentiger Bourbon«, erklärte er.
Ich blickte zu ihm auf. »Gott sei Dank, daß das vorbei ist«, rief ich erleichtert.
Alec lächelte mir zu. »Sie waren großartig. Wirklich großartig.« »Danke«, erwiderte ich, »aber das brauchen Sie nicht zu sagen. Ich weiß genau, wie schlecht ich abgeschnitten habe.«
»Sie haben überhaupt nicht schlecht abgeschnitten«, erklärte eine neue Stimme.
Überrascht wandten wir uns zur Tür um. Ich sprang auf. »Chef!« Er lächelte, als er das Zimmer betrat. »Sie waren sogar recht gut, möchte ich behaupten.«
Alec und Joel wechselten Blicke. Das waren die höchsten Lobesworte, die sie jemals vom Alten gehört hatten.
»Danke, Sir.«
Er hob die Hand. »Danken Sie mir nicht«, erklärte er. »Es ist noch nicht vorbei. Vito hat noch immer seine Chance. Bis zum Spruch der Geschworenen ist nichts gewonnen.«
Ich zog einen Stuhl für den Chef heran. Vorsichtig setzte er sich hin. »Sie sehen sehr gut aus, Sir«, meinte Joel. Ich streifte ihn mit einem raschen Blick. Der alte Radfahrer! Wie üblich damit beschäftigt, dem Alten um den Bart zu gehen.
Der Chef beachtete ihn nicht. »Ich fühle mich ganz gut«, erklärte er.
Er nahm ein Päckchen Zigaretten heraus und steckte sich einein den Mund. Alec hätte sich bei seinem Bemühen, Joel mit dem Feuer zuvorzukommen, fast einen Finger gebrochen.
Ich lachte still in mich hinein. Im Handumdrehen war alles wieder so wie früher. Mir war auch schon wieder wohler. Vielleicht war es der Whisky, der meinen Magen durchwärmt hatte.
Der Alte wandte sich an mich. »Was wird Ihrer Ansicht nach Vito
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