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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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unternehmen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Sir.«
    »Mir gefällt sein Gesicht nicht«, fuhr der Chef fort. »Er wirkt zu unbeschwert.«
    »Vito sieht immer so aus, ob er Grund dazu hat oder nicht«, warf Joel rasch ein.
    Der Alte betrachtete ihn mit einem vernichtenden Blick. »Ich kenne Hank Vito seit fast zwanzig Jahren und sehe es ihm an, wenn er simuliert. Diesmal aber ist es bei ihm echt. Er hat etwas im Hinterhalt. Ich würde noch einen Blinddarm hergeben, um zu erfahren, was er zusammenbraut.«
    Schweigend saßen wir eine Weile da. Jeder bemühte sich, eine Möglichkeit ins Auge zu fassen, die uns bis dahin entgangen war. Schließlich stand der Alte auf. »Wir werden wohl nicht lange zu warten brauchen«, meinte er bedächtig. »Wahrscheinlich wird er uns morgen gleich zu Anfang damit ins Gesicht springen.«
    »Wie kommen Sie darauf, Sir?« fragte Joel.
    Der Alte ging zur Tür und blickte zu uns zurück. »Er hat für morgen keine Zeugen vorgeladen. Keinen einzigen.«
    Wir sahen einander verwundert an. Alec war der erste, der Atem holte. Die Mitteilung des Alten hatte uns unvorbereitet getroffen. Listig sah er uns drei an. »Hätte einer von euch dreien den richtigen Riecher gehabt, dann hätte er das vor Verlassen des Gerichtssaales nachgeprüft.« Er trat auf den Gang hinaus und schloß die Tür hinter sich.
    Joel war es, der unserer widerwilligen Bewunderung als erster Ausdruck gab. »Das muß man dem alten Teufel lassen«, meinte er anerkennend. »Alt mag er sein, aber ihm entgeht auch rein gar nichts.«
    Ich blieb an diesem Abend bis nach elf Uhr im Büro, um den ganzen Fall noch einmal durchzudenken. Ich ließ nichts aus. Ich überprüfte alle Angaben, die wir über Vitos Zeugen hatten. Ich ging alle Fragen durch, die er den Zeugen der Staatsanwaltschaft gestellt hatte. In diesem ganzen Material fand ich nicht den geringsten Hinweis auf den Kurs, den er einschlagen würde. Schließlich schloß ich meinen Schreibtisch ab und nahm Hut und Mantel vom Kleiderständer.
    Ich war müde, aber nicht schläfrig. Draußen war es unangenehm kalt, aber ich beschloß, ein wenig zu gehen. Ich hoffte, die frische Luft würde meine Gedanken klären. So schlug ich den Weg zum Broadway ein.
    In diesem Teil war der Broadway eine dunkle, verödete Straße. Zur Stadtmitte hin sah ich den Lichtschein, den der Times Square grell in die Nacht warf. Hier jedoch ragten die Bürohäuser riesig und dunkel zum Himmel empor. Nur hier und dort ein Licht, wo Putzfrauen arbeiteten.
    Ich schlug den Mantelkragen hoch und begann rascher zu gehen. Ich war fast vier Blocks gegangen, als ich das Auto bemerkte, das auf der Straße langsam neben mir her fuhr. Neugierig blickte ich hin, konnte aber nicht hineinsehen. Es war zu dunkel.
    So ging ich, in meine Gedanken verloren, weiter. Als ich zur nächsten Ecke gelangte, schnitt mir der Wagen den Weg ab. Fluchend sprang ich auf den Bürgersteig zurück.
    Ein leises Lachen drang an mein Ohr. Es war ein vertrautes Lachen. Ich faßte nach dem Griff der vorderen Wagentür und öffnete sie.
    Sie saß am Steuer. Im schwachen Licht des Armaturenbrettes sah ich ihre Zähne schimmern. »Hallo, Mike«, sagte sie mit leiser Stimme. »Marja!«
    Ich konnte die Überraschung in meiner Stimme nicht verbergen und stand wie angewurzelt am Rinnstein.
    »Steig ein«, forderte sie mich auf. »Ich fahre dich nach Hause.«
    Ich zögerte einen Augenblick und stieg dann ein. Sofort fuhr sie weiter. Ich starrte sie an.
    An der nächsten Ecke brachte eine Ampel den großen Wagen zum Stehen. Sie wandte sich mir zu und sah mich an. »Du arbeitest ziemlich lange«, meinte sie. »Seit sechs Uhr habe ich draußen vor deinem Büro gewartet.«
    »Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben?« erwiderte ich spöttisch. »Ich hätte dich nicht warten lassen.«
    »Oh, oh«, rief sie, während sie wieder anfuhr. »Der junge Mann ist böse.«
    Ich nahm eine Zigarette und zündete sie an. Im Licht der Streichholzflamme wirkte ihr Haar fast weiß. Um ihren Mund lag ein stilles Lächeln. Sie fuhr schweigend und mit einer gewissen gleichgültigen Unbeschwertheit.
    Erst nach einer Weile begann sie zu reden. »Du warst sehr gut heute, Mike.« Es klang fast so, als sei sie bei diesem Prozeß nur Zuschauerin. »Danke«, antwortete ich.
    Sie bog in eine Nebenstraße ein, fuhr an den Bürgersteig heran und schaltete den Motor ab. Von irgendwoher holte sie eine Zigarette. Ich hielt ihr das Streichholz hin.
    Über die Flamme

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