Die Moralisten
meiner Tablette.«
Judd seufzte und stand ebenfalls auf. Er küßte sie auf die Wange und nahm ihre Hand. »Komm, ich bring dich zu deinem Wagen.«
Das Telefon klingelte, als er ins Schlafzimmer kam. Er stellte den Lautsprecher und das Raummikrophon an. »Hier Crane«, sagte er in normaler Lautstärke.
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt«, meldete sich Merlin. »Nein, keineswegs«, beruhigte ihn Judd.
»Wir haben ja gerade erst elf.«
»Der Verkauf der South and Western Bank ist jetzt abgeschlossen. Transatlantic überweist morgen fünfhundert Millionen und übernimmt gleichzeitig alle Rechte und Pflichten.«
»Hat das Justizministerium seine Einwilligung gegeben?« »Alles klar«, erwiderte Merlin. »Die Stiftung kriegt vierhundert Millionen. Was sollen wir mit Ihren hundert Millionen machen?« »Wieviel Steuern muß ich denn davon zahlen?«
»Gar keine«, erklärte Merlin. »Den hundert Millionen Veräußerungsgewinn stehen immer noch Verluste in Höhe von zweihundert Millionen gegenüber.«
Judd überlegte einen Augenblick. »Überweisen Sie Crane Medical fünfundzwanzig Millionen als persönliches Darlehen. Den Rest verteilen Sie bitte auf meine Konten in der Schweiz und auf den Bahamas.«
Crane Medical könnte noch erheblich mehr brauchen«, sagte Merlin ausdruckslos. »Aber schließlich ist es ja Ihr Geld.« »Stimmt«, bestätigte Judd. »Es ist mein Geld.« Merlin schwieg.
»Sonst noch etwas?« fragte Judd.
»Mitsubishi Heavy Industries haben uns ein Übernahmeangebot für Crane Engineering and Construction gemacht«, sagte Merlin zögernd. »Sie bieten anderthalb Milliarden Dollar.«
»Und was ist die Firma jetzt wert?« »Drei Milliarden netto. Also doppelt soviel.« Judd überlegte einen Augenblick. »Teilen Sie ihnen mit, sie können den Laden haben, wenn sie zwei Milliarden bezahlen.«
»Dazu sage ich lieber nichts«, bemerkte Merlin resigniert. »Ich habe das Gefühl, Sie wollen jetzt alles abstoßen.« »Vielleicht haben Sie recht«, sagte Judd weiter. »Geld bedeutet mir nichts mehr. Ich habe mehr, als ich brauche.« »Aber wenn wir das Mitsubishi-Angebot annehmen, verlie ren wir eine Milliarde.«
Merlin war verzweifelt. »Was müssen wir denn an Steuern bezahlen, wenn wir drei Milliarden bekommen?« fragte Judd ruhig. Er konnte förmlich sehen, wie Merlin die Daten in den Computer eingab. Eine Sekunde später kam schon die Antwort. »Ungefähr sieben- oder achthundert Millionen Dollar.« »Was bringt uns dann die eine Milliarde mehr?« fragte Judd. »Nicht genug, um uns mit dem Finanzministerium zu streiten. Wenn wir drei Milliarden herausholen, bleiben uns die Steuerfahnder fünf Jahre lang auf den Fersen und kontrollie ren jeden Cent, den wir ausgeben. Wenn wir nur zwei Milliarden kriegen, ist es ganz klar, daß wir einen Verlust ge macht haben. Dabei betragen die Nettoverluste nur hundertund-sechzig Millionen für die Stiftung und vierzig Millionen für mich.« Merlin schwieg.
»Seien Sie nicht so betrübt«, versuchte Judd ihn aufzuheitern. »Es wird Zeit, daß wir ein paar von unseren Verpflichtungen loswerden. Vielleicht können wir dann alle unser Leben etwas mehr genießen.«
Merlins Seufzen war im Lautsprecher deutlich zu hören. »Ich glaube nicht, daß Ihr Vater auch so gedacht hätte.« »Mein Vater ist tot«, sagte Judd trocken. »Und ich bin der Ansicht, daß ich lange genug bei diesem Spiel mitgemacht habe. Denn im Gegensatz zu meinem Vater lebe ich noch und gedenke noch sehr lange zu leben.«
»Okay.« Merlin gab sich geschlagen. »Ich werde Mitsubishi über Ihr Angebot unterrichten.« »Vielen Dank«, sagte Judd. »Gute Nacht.« »Gute Nacht«, verabschiedete sich Merlin. Judd unterbrach die Verbindung und ging quer durchs Zimmer zum Fenster. Der Mond ging gerade auf, und sein Licht tanzte hell auf dem Wasser. Konzentriert begann Judd seine Atemübungen und spürte bald, wie sein Körper ruhiger wurde.
Leise Schritte näherten sich, weiche Finger lösten seine Kleider. Hemd und Hosen wurden ihm abgestreift, ohne daß es seine Konzentration störte. Kleine Hände führten ihn zu einem harten Lager in der Mitte des Raumes. Ohne die Person wahrzunehmen, die sich um ihn bemühte, und ohne den Blick vom Meer abzuwenden, nahm er den Lotussitz ein. Das Licht im Raum wurde soweit gedämpft, daß es dem Nachthimmel entsprach. Direkt vor seinen Augen flackerte jetzt eine Kerze.
Judd starrte ins Licht, bis seine Lider schwer wurden. Zarte Finger schlössen ihm die Augen,
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