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Die morawische Nacht

Die morawische Nacht

Titel: Die morawische Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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zugespitzten eisernen Zaunpfahl zu spießen: »Jetzt tue ich's!« dachte er, und so, als würde damit Recht geschehen; als handle er in Notwehr.
    Er erzählte nicht weiter; hatte von dem, was folgte, kein Gedächtnis. Aber schon von vorher, von der Gewalt, war ihm nichts geblieben als diese selbst, kein Nachtwind, kein Licht, kein Stern, kein Baumrauschen, als sei das ein Gesetz der Gewalt. Sein Gedächtnis kam erst zurück mit dem folgenden Tag, da die Frau und er, als wäre nichts gewesen, einander wiedersahen: ihr Gesicht wie auch ihr Körper vollkommen unversehrt, keine Rötung, keine Schwellung – auch dies, als wäre nichts gewesen. »Nie mehr eine Frau. Nie mehr ein Buch!« so sein Gedanke. Und warum erzählte er uns das alles? (So unser Zwischenträger, diesmal laut.) – Es gehörte zu dem, was ihm im Folgenden bei der entlegenen Klosterruine zustieß.
    Endlich würde unser Gastgeber also zur Sache kommen, zu seiner hoffentlich einmal anderen Frauen-Geschichte, der von dem Dichter aus Numancia ihm verkündeten, der Geschichte mit der Frau unterwegs. Aber er tat uns dann immer noch nicht den Gefallen, zögerte sie weiter hinaus. War das ein Trick? Ein Kniff? Nein. Wir kannten unseren Freund genug, um zu wissen, daß er nicht anders konnte, als das Ansprechen der Begebenheit, um die es ihm zu tun war und die ihm dabei auf der Seele brannte, möglichst lange hinauszuschieben, ob das nun seine eigene Natur war oder die Natur der Sache, oder beides. Freilich hatte er so doch in seiner Schreiberzeit erlebt, daß er durch ein Hinauszögern den Moment für seine Geschichte verpaßt hatte, ähnlich wie sein Doppelgänger, oder wer, die Sekunde zum Werfen seines Pfeils. Es würde kommen, wie es eben käme. Daß er mit seinen Sätzen, anders als beispielsweise Heinrich von Kleist oder irgendwelche amerikanische Schule, nicht sofort in medias res gehen konnte, sollte sein Problem bleiben, wie früher im Schreiben so jetzt im Reden, und er schien davon sogar angestachelt.
    Seit er seinen Beruf aufgegeben hatte, kam er in Frage, und nicht nur für eine Frau. Indem er entschlossen ein Niemand geworden war, wußte er sich als wer, grundanders als der und der Autor. In Frage kam er, weil er verfügbar war, und das auch ausstrahlte. Zugleich ließ ihn das massiv erscheinen, was nichts zu tun hatte mit seiner Größe oder seinem Gewicht. Er war für die Umwelt einer, der mit beiden Beinen auf dem Erdboden stand wie eben nur irgendwer, einzig in der Gegenwart lebte und diese verkörperte wie keiner sonst. So kam man, wo er auch hinkam, erst gar nicht darauf, ihn nach einem Beruf zu fragen. Er war da, ohne aufzutreten, nahm Anteil, hatte teil, war Teil. Wenn er sich jemals zu etwas berufen geglaubt hatte, so zum Hören und zum Hörengehen, und insofern befand er sich jetzt im Land seines Ideals. Keine besondere Luft brauchte er mehr, nur noch die Erde, und er, der anonym Gewordene, auf ihr in der gebotenen Erdenschwere. Seine Undefinierbarkeit, sie machte, daß eine Art Farbigkeit von ihm ausging, eine dunkle, eine erdige, eine friedfertige, menschenfreundliche, Farbe und Musik, tonlose, in einem, die Musik – so wollte er, sie würde gehört – der Teilnahme. Von ihm, dem undefinierbaren Niemand, war nicht bloß nichts zu befürchten. Er erweckte Vertrauen. – Sprach er da aus Erfahrung, oder war das eher seine Idee von sich ohne seinen Beruf, der ihn im Lauf der Zeit über eine gewisse Gesellschaftsunfähigkeit hinaus bedroht hatte mit Menschenfeindschaft, einer unheilbaren?
    »Wie auch immer«: Nach all den Frauenkriegen und Niederlagen während seiner Schreiberjahre dachte er sich, dieses beschränkenden Berufes entsagt, endlich für eine, für die Frau bereit. Mitsamt seinem Scheitern glaubte er weiter an die Geschichte zwischen Mann und Frau. Dieser Glaube war keine Idee, vielmehr ein Traum, kam aus Träumen, denen zu glauben war, und da er die entsprechenden Träume immer noch träumte, glaubte er daran, so wie er auch an manche Schlagertexte glaubte, und nicht nur an das »Wir wollen niemals auseinandergehn«. Freilich glaubte er mehr an die gegenseitige Begeisterung als an die Liebe, oder mied zumindest das Wort. Und sämtlichen Lebenden auf Erden mußte es, was die Geschichte zwischen Mann und Frau betraf, genauso gehen wie ihm, da war er sich gewiß, so wie überhaupt seine persönlichen Gewißheiten auch die allgemeinen sein mußten – das war ihm wohl geblieben von seinem Beruf?
    Der Tag, an dem er aufbrach zu

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