Die morawische Nacht
der Kirchenruine im Landesinnern des galizianischen Granitlands, war ein Zitronenfaltertag, im Anklang an die »Eulennacht« des Poeten von Numancia. Zitronenfaltertag, das hieß, der Himmel war vorfrühlingsblau, und aus dem im Lauf des Tages wärmer wehenden Wind war dann einmal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Dahergaukeln eines ersten Gelblings zu erwarten, aus einem wahrhaft einmal heiteren Himmel.
Aber hatte er nicht über die Grenze nach Portugal gehen wollen, und an den Atlantik dort? so unser Zwischenträger, mit dabei im Verzögerungsspiel. Dazugehörig die ausnahmsweise Antwort: Er, der sich auf den Weg Machende, habe, besonders für diesen einen Tag, Hindernisse benötigt, noch und noch, vor der Ankunft, und die portugiesischen Grenzen seien ja längst nur noch scheinbare – zumindest nicht jene Hindernisse, die er im Sinn hatte. Und den atlantischen Ozean, samt Küste, wenn auch eigenartiger, treffe man auch noch tief im nordiberischen Binnenland an: die Gezeiten dort seien, »ja, weißt du das denn nicht, du Trottel?«, so beschaffen, daß die Flut jeweils die Flüsse aufwärts wandere, meilenweit in der Regel, auch weiter hinein in die kleineren Zuflußbäche, und dort, in den Perioden einer besonders mächtigen Flut, bis hin zu den Quellen, wo dann mitten im Land die Granitblöcke, aus denen das Süßwasser hervorquillt, zugleich ein Meeresufer darstellen, »verstanden?«. Ríos, so hießen diese Flüsse und Bäche, die in der Flutzeit Teil des Atlantik würden, »verstanden?«.
An einem solchen Winzigfjord, einem Fjord im Flachland, lag die Ruine, sein Ziel. Und die Hindernisse? Die Weglosigkeit, die, wo es sein mußte, auch gesuchte, versteht sich; dazu die Weidezäune, die Stiere oder bloß Kühe, die herankurvten, sowie er da durchschlüpfte. Und das größte Hindernis der Bach selber, an dessen Ufer man möglichst zu bleiben hatte, um mit der landein wandernden Flut mitzuwandern. Ging das? Ja, wenn auch weniger am gebüschüberwucherten Ufer als im Bachbett selber. So hoch war die Flut also gar nicht? Ja, und sie kam überdies nicht in Wellen, geschah vielmehr als ein eher stilles, fast gemächliches Bachauf-eben-Fluten. Und der Koffer? Auf dem Rücken, von innen ausgedellt. So lang war man also schon unterwegs.
Willig nahm er dann auch in Kauf, daß er sich auf einer Strecke, weitab von dem Meeresbach, verirrte. Die Landkarte, die er dabeihatte, warf er weg. Was ihn die Richtung wiederfinden ließe, das wäre allein sein Instinkt, nein, sein Gespür, und das war an diesem Tag so stark wie, das war seine Gewißheit, untrüglich. Wer hatte schon einen Verirrten erlebt wie ihn? Er ließ sich Zeit, und wenn er zwar ständig um sich blickte, so suchte er aber keinen Weg, sondern betrachtete nichts und wieder nichts. Und wirklich erschien dann auch der Zitronenfalter, stürzte geradezu herab aus dem Himmelsblau, landete auf dem Verirrten, spritzte da seinen Kot los, indem er den Hinterleib aufbog und aus diesem es nach vorn über den Kopf, in die Lüfte spritzen ließ – noch nie hatte der Wanderer einen Schmetterling scheißen sehen und kam sich für den einen Augenblick wie ein Entdecker vor –, flog wieder auf und schaukelte und, ja, gaukelte im Zickzack weg in das Vorfrühlingsgestrüpp, dessen Grau-in-Grau durch das in ihm geisternde Gelb eine Farbe wurde wie nur je eine, blinkte in der Tiefe des Waldes noch einmal auf, und – oder war das schon das Nachbild? die Phantasie? – später noch einmal, und wird auch in der Folge dann und wann aufgeblinkt haben.
Er näherte sich seinem Ziel von hinten. Woher wußte er das, verirrt, wie er war? Das sagte ihm weiter sein Gespür. Und wie kam es, daß er dieses an dem bestimmten Tag derart unfehlbar wußte? Das kam aus einem Traum der Nacht zuvor. In dem Traum war ihm die Frau begegnet, und zwar auf eine Weise, daß er die Gewißheit hatte, das Geträumte würde tags darauf eintreffen. Die Verheißung des Traums würde sich erfüllen. Nur verhielt es sich damit, so seine Erkenntnis, seit langem, wie mit den Versprechungen, welche die Natur ihm gegeben hatte in der Kindheit: alle, alle waren die eingetreten, aber es war er, der die Versprechen zu erfüllen hatte. An ihm lag es, sie zu verwirklichen, zu praktizieren, ihnen das Leben einzuhauchen – sich auf den Weg zu machen, zu ihnen aufzubrechen, sich zu ihnen durchzuschlagen, durch dick und dünn.
Und wie die Versprechen der Natur seinen Forscher- und Entdeckergeist geweckt
Weitere Kostenlose Bücher